«Aus einem deutschen Lied geschnitten» – das ist eine Serie von kurzen Texten, jeweils kombiniert mit einem Musikvideo. Von einer Liedzeile ausgehend, streift Georg Klein durch ganz unterschiedliche Landschaften. Es geht um den Reiz des Nichtstuns, um Film- und andere Küsse und die unheimliche Präsenz des Brillenmanns. Es geht um Erde, Feuer, Wasser und Luft, ums Tanzen – und auch um die Transparenz von Stubenfliegenflügeln.
Die musikalische Begleitung der Textminiaturen ist exquisit. «Deutsches Lied», das ist bei Georg Klein ein weites Feld: Marlene Dietrich und Rammstein, Georg Kreisler und Großstadtgeflüster, nicht zu vergessen die Elektroavantgardisten Kraftwerk (mit einer sensationellen Erstklässlerversion von «Roboter»).
Kurz: Georg Klein macht Text und «Musik / Da bleibt dir die Luft weg» (Ilse Werner).
Nicht mehr als ein, zwei haltlose Sekunden schwankt die Zeitgewissheit unseres Bewusstseins, wenn wir aus einem Traum erwachen, der in den Kulissen unseres einstigen Jungseins spielte. Dabei war eben noch trügerisch getreu, was uns als Daseinsraum vorgegaukelt wurde. Alle Farben, mit denen die Fassaden gestrichen, die Autos lackiert und unsere Kleidungsstücke der damaligen Mode unterworfen worden waren, schienen die Präsenz jener besonderen Jahre zu bezeugen, als wäre das Licht eine Uhr, die uns verlässlich anzeigt, welche Stunde unseres Lebens es gerade geschlagen hat.
Sind wir ins Wache gestürzt, hat im Nu ein anderer Sinn die Regie der Gegenwart übernommen. Die schiere Schwerkraft signalisiert uns umgehend, wie es sich tatsächlich mit dem Alter unseres Körpers verhält. Wir wälzen uns auf die andere Schulter, und wohlig seufzend oder zwiespältig ächzend, sind wir, eben erst jung gewesen, nun heilfroh, dass wir zumindest noch nicht in jenem letzten Existenzstummel angekommen sind, wo uns morgens, spätestens mit dem ersten Schritt Richtung Bad, vielleicht nicht alle, aber doch einige wesentliche Knochen wehtun werden.
Zu den Privilegien des Jungseins gehörte, dass wir uns keine Gedanken um die späteren Zustände unseres Körpers machen mussten. Wie dies Tag für Tag problemlos gelang, ist in der Rückschau ein Mirakel, hat doch ein jeder die Lebensjahrzehnte, die noch auf ihn zukommen, beständig in Gestalt der älteren Zeitgenossen vor Augen. Diese unlängst oder vor langem Junggewesenen wären zudem stets in der Lage, einen mit Worten an das Schwinden jener zauberhaften Anmut zu erinnern, die nur ein junger Mensch besitzt. Aber mit einer bemerkenswerten Diskretion tun sie dies so gut wie nie. Nur im Ausnahmefall kommt ihnen ein besserwisserisches «Du wirst schon sehen!» über die Lippen, und jene Fotos und Filme, die den verflossenen Liebreiz der mittlerweile Gealterten bezeugen könnten, bleiben in der Regel im Album oder in technisch aufwendigeren Speichern geborgen.
Mein bescheidenes Bildarchiv füllt ein nicht allzu tiefes Zigarrenkistlein. Als eine der ältesten Aufnahmen enthält es ein Foto, das mich als Baby bei meiner katholischen Taufe zeigt. Allerdings ist auf der Schwarzweißaufnahme nicht mein greinendes Säuglingsgesicht der Blickfang, sondern meine dreiundzwanzigjährige Tante, die mich auf den Armen trägt und deren jugendliche Schönheit den bieder frommen Akt auf eine nahezu heidnische Weise verzaubert.
Als wir uns volle vier Jahrzehnte später auf einer Beerdigung nach langem Nicht-Mehr-Sehen die Hand reichten, meinte dieselbe mit einem mädchenhaft verschämten Lächeln:
«Ach, herrjeh! Jetzt muss ich dir SO vor Augen kommen!»
Und als ich ihr, ohne dabei schwindeln zu müssen, entgegnete, sie sehe doch blendend aus, meinte sie ins Flüstern fallend: «Ich weiß! Ich weiß schon, was du meinst, Georg. Aber das ist doch rein gar nichts verglichen mit früher!»
Der Mensch ist die vergleichende Kreatur. Kein Ding, kein belebter Körper und kein Daseinszustand entgehen unserem Vermögen, einen Vergleich zu ziehen. Aber wir haben auch ein Gespür dafür, wann es klüger ist, diese Potenz zu zügeln. Was Jugend im allerschönsten Fall ist, lässt sich nur um den Preis eines merkwürdigen Missklangs mit den zeitlos tiefen Wonnen unserer Kindheit und den eher nüchternen Glücksfällen späterer Lebensalter vergleichen. Denn nur die Jugend flüstert sich in ihren luziden Momenten sehnsüchtig zu, was gerade sei, möge für immer andauern, und allein die Jungen genießen im selben Bernsteinlicht jene unverwechselbare Wehmut, die ihnen umgehend antwortet, dass genau dies nie und nimmer der Fall sein darf.
Für Rat aller Art danke ich Stephan Turowski und Wilko de Vries.