«Aus einem deutschen Lied geschnitten» – das ist eine Serie von kurzen Texten, jeweils kombiniert mit einem Musikvideo. Von einer Liedzeile ausgehend, streift Georg Klein durch ganz unterschiedliche Landschaften. Es geht um den Reiz des Nichtstuns, um Film- und andere Küsse und die unheimliche Präsenz des Brillenmanns. Es geht um Erde, Feuer, Wasser und Luft, ums Tanzen – und auch um die Transparenz von Stubenfliegenflügeln.
Die musikalische Begleitung der Textminiaturen ist exquisit. «Deutsches Lied», das ist bei Georg Klein ein weites Feld: Marlene Dietrich und Rammstein, Georg Kreisler und Großstadtgeflüster, nicht zu vergessen die Elektroavantgardisten Kraftwerk (mit einer sensationellen Erstklässlerversion von «Roboter»).
Kurz: Georg Klein macht Text und «Musik / Da bleibt dir die Luft weg» (Ilse Werner).
Geben wir es ruhig zu: Bei uns allen kommt es ab und an vor, dass wir uns in irgendeinem Lebenszusammenhang Untätigkeit vorwerfen. Das Ich gelobt Besserung. Ein Vorsatz, der ein überfälliges, ein allzu lang versäumtes Handeln anpeilt, wird gefasst. Und dem angeblichen Gegenspieler, dem Nichtstun, wird der Kampf erklärt. So weit die gängige, das Gemüt traktierende Praxis.
Genau besehen, habe ich allerdings Mühe, mir einen schlicht nichts, einen rein garnichts tuenden Zeitgenossen vorzustellen. Irgendetwas macht unsereins heutzutage doch immer. Zumindest tippt oder wischt eine Fingerspitze auf dem Glas des Smartphones herum. Und solange ein Glied unseres Körpers in derartig unzufälliger Bewegung befangen ist und Auge und Aufmerksamkeit von einem mehr oder minder bewegten Bild in Beschlag genommen werden, kann man doch eigentlich nicht von einem Nichtstun im strengen Sinne des Wortes sprechen.
Sogar diejenigen Zeitgenossen, die mit gekreuzten Beinen, den nackten Fußboden oder einen harten Meditationshocker unter dem Hintern, nichts weiter versuchen, als ihrem Atem hinterherzuhorchen, scheinen mir eindeutig Tätige. Bereits die Einübung ihres speziellen Dasitzens ist ein von fester Absicht geleitetes Machen gewesen, danach galt es, mit stetig erneuerter Disziplin dabeizubleiben, und so kommt mir ein derart still in sich Versenkter letztlich wie ein besonders konzentriert Arbeitender vor.
Eventuell gibt es das Nichtstun gar nicht? Womöglich kennt und kannte unsere Spezies immer nur eine grob oder fein gestufte Hierarchie von Handlungen. Tätig wäre dann auch derjenige, der stundenlang auf den Fernseher gafft, tätig auch die vielen, die in einer sogenannten Agentur für Arbeit, stoisch oder verzweifelt, auf das Beratungsgespräch mit ihrem Sachbearbeiter warten. In ein Tun befangen bleibt, wer sich der Muße einer belletristischen Lektüre oder dem besinnlichen Verweilen in seinem Garten hingibt.
Dann wäre das sogenannte Nichtstun in erster Linie ein Schmähwort. Es diente hauptsächlich dazu, Beschäftigungen, die in der Skala der möglichen und geläufigen Machenschaften ganz unten stehen, wie das Biertrinken an einem Kneipentresen oder das Pornogucken im Internet, zu diskreditieren. Ein geringgeschätztes oder gar verachtetes Tun wird kurz und bündig als Nichtstun abqualifiziert, obwohl der als Nichtstuer geschmähte Akteur mit «Fehltuer» oder «Irrtuer», also als einer, der angeblich gebotene Handlungen zugunsten minderwertigen Tuns versäumt, präziser gescholten wäre.
Ich spüre den Trost, den es spendet, dem Nichtstun auf diese Weise seine Existenz streitig zu machen. Er ist trügerisch. Denn was mich betrifft, muss ich leider davon ausgehen, dass jenes ominöse Garnichtstun irgendwo in meiner Welt sein verborgenes Reich hat. Ich schließe auf sein heimliches Dasein, weil ich seit langem beobachte, dass ich nicht zum Nichtstun in der Lage bin. Nur ganz selten habe ich an seine Grenzen gerührt, eigentlich nur die wenigen raren Male, als mich eine Krankheit so entkräftete, dass ich mir bis auf das schlückchenweise Schlürfen von Tee und wirres Dösen kein beobachtbares Tun mehr vorstellen konnte.
Zuletzt kam ich meinem möglichen Nichtstun heute Morgen nahe, als ich erstaunlich matt, mit Gliederschmerzen und schwerem Kopf, erwachte. Aber im Nu fiel mir das Lied ein, über dessen eingangs zitierten Vers ich schreiben wollte. Folglich ist selbst dieser Text, dem Sie, tüchtig tätig, gleich bis in seine letzte Zeile gefolgt sein werden, meinem chronischen Unvermögen, nichts zu tun, geschuldet. Und in jedem Satz, mit dem ich der Sängerin widerspreche, verrät sich die Sehnsucht, mir endlich doch noch jenes Territorium zu erobern, aus dem sie singend, also entschieden tuend, entkommen zu wollen vorgibt.
Für Rat aller Art danke ich Stephan Turowski und Wilko de Vries.