Schauergeschichten
Péter Nádas’ neuer Roman ist ein unerwartetes Geschenk. Sprachgewaltig und vielstimmig erzählt er das Leben eines Dorfes am Fluss mit all seinen Bewohnern: Da sind die großen Bauern wie die Tagelöhner, der Priester und der evangelische Pfarrer, ein geistig behindertes Mädchen, eine junge Mutter, der Schäfer des Dorfes, der Lehrer, eine Frau, die Jahrzehnte zuvor unwiderruflich in Schande geriet, ein vom Teufel besessener Bäcker, dazu entwurzelte Aristokraten und Grandes Dames auf Landpartie. Ein Panoptikum von Figuren, getrieben von Missgunst und Bosheit.
Und um die Menschen des Dorfes herum: Gespenster.
Im Verlauf weniger Tage begegnen uns namenloses Elend, Schwäche, Abhängigkeit und Gewalt, in einer Welt, die an Céline und Tschechow erinnert, in der Sprache sich in ihr Gegenteil verwandelt, die Unfähigkeit zu sprechen. Rohe Gier und plötzliche Großmut wechseln einander ab, während dämonische Triebkräfte die Leben der Menschen chaotisch steuern. Dabei fließt die Erzählung ruhig dahin, schlägt Bögen, versammelt immer mehr Orte und Akteure und trägt uns ohne Aussicht auf Rettung einem alles umfassenden Unheil zu.
- Verlag: Rowohlt Buchverlag
- Erscheinungstermin: 11.10.2022
- Lieferstatus: Verfügbar
- 576 Seiten
- ISBN: 978-3-498-00228-2
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Wie Nadas all das zusammenströmen lässt, wie er von Figur zu Figur und von Stimme zu Stimme wandert und alle in einem gewaltigen und gewalttätigen kollektiven Sprechen aufgehen lässt, ist literarisch einzigartig.
Péter Nádas hat erneut bewiesen, dass er einer der großen europäischen Schriftsteller ist und alles in Literatur zu verwandeln vermag.
Péter Nádas hat einen verrückten, einen der Zeit enthobenen Roman geschrieben, der aber gegenwärtiger gar nicht sein könnte. «Schauergeschichten» ist grosse Kunst und erinnert die Kunst dennoch daran, wie hilflos ihre Versuche sind, Ordnung in die Welt zu bringen.
Mich hat das wahnsinnig fasziniert, wie Nadas das schafft, alles in einen großen Strom hineinfließen zu lassen. Vermutlich geht es im Kern um diese große Frage, was ist der Mensch eigentlich?
Eine vielstimmige und sprachgewaltige Erzählung über Gier und Großmut, Bosheit und Missgunst vor dem Hintergrund der katastrophisch erlebten Umwälzungen des Kommunismus auf dem Lande.
Wer diesen Roman liest, der hört ein ganzes Dorf reden - auf Deutsch in der fabelhaften Übersetzung von Heinrich Eisterer. Er hört aber auch das ungesagt Bleibende. Das ist all das, für das die Dörfler keine Sprache haben. Das ist ihr wahrer Fluch.
[Der Roman] will verstören, und er verstört ... Er versenkt sich tief in die unheimlichen Korrespondenzen zwischen dem kollektiven Unbewussten des Ostens und der dunklen Sehnsucht seiner Intellektuellen nach Übertretung und Selbstauslöschung.
Dieser Dorfroman wird zum Schauerroman, indem er das Dorf als Welt für sich, als sprachlichen Kosmos eigener Ordnung entwirft, in dem der Schrecken und die Gewalt schon vibrieren, ehe am Ende auch in der Handlung der Horror zu seinem Recht kommt.
Ein Roman ganz von dieser Welt und zugleich aus einem finsteren Jenseits ... Nádas beobachtet seine Figuren ohne Mitleid, führt sie aber auch nicht vor. Er selbst sei alle von ihnen zugleich, hat er gesagt.
Doch dieses ästhetische Wagnis erweist sich bei genauerer Lektüre als von Nádas präzise durchdacht. Die feinmechanische Struktur des Ganzen ist sprachlich penibel austariert. Sein Thema: die dämonische Macht des kollektiven Unbewussten, in dem dumpfes Triebleben und mythische Erinnerungsreste brodelnd regieren.
Eine Form von Literatur, die nicht schönen Schauer, sondern das existenzielle Schaudern erzeugt.
Gegen Schluss des eindringlichen Romans, der seinen drastischen Naturalismus mit glänzenden Passagen auktorialen Erzählens legiert, entlädt sich die innere Spannung dieser antagonistischen dörflichen Welt in einem irrwitzigen Karussell individueller Katastrophen.
Man ist am Ende dieses Lesemarathons so fasziniert wie abgestoßen von der scheinbaren Zeitlosigkeit dieses Spätwerks, die nichts Gutes für die Gesellschaft verheißt.
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