Im Gespräch

«Als Gesellschaft müssen wir toxischen Liebesbildern etwas entgegensetzen.»

Ruth-Maria Thomas erzählt in ihrem Debütroman voller Wärme von Liebe und Freundschaften, schonungslos von häuslicher Gewalt und Macht.

Ruth-Maria Thomas im Interview

Warum wolltest du dieses Buch unbedingt schreiben?

Die Gewalt im Leben vieler Frauen fängt oft schon früh an: schmerzhafte Schönheitsideale, die nie erreicht werden können, frauenverachtende Rap-Lyrics, Übergriffe. In den 2000ern gab es für diese diversen Formen von Gewalt kaum ein breites gesellschaftliches Bewusstsein, es wurde wenig darüber gesprochen. Das hat sich nach #MeToo etwas geändert. Die Geschichten von damals erstrecken sich aber trotzdem noch in die Gegenwart und müssen erzählt werden.

 

«Zu so was gehören doch immer zwei», sagt Jellas Vater zu ihr, nachdem die Beziehung eskaliert. Warum, denkst du, suchen Frauen so oft die Schuld bei sich allein und tolerieren lebensbedrohliche Gewalt in Beziehungen oft so lange?

Es heißt, im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt. Wer mehr liebt, liebt richtig. Extreme sind sexy. Man liebt nur richtig, wenn es wehtut. Ein bisschen Eifersucht tut der Beziehung gut. Wir wachsen mit diesen Glaubenssätzen auf, die sagen: Liebe muss intensiv sein. Und wenn es mal laut wird? Gilt das als leidenschaftlich. Doch was, wenn der Streit körperlich wird? Wenn die Worte Demütigungen werden? Ist das dann immer noch Leidenschaft – oder ist das: Gewalt? Es ist gefährlich, wenn die Grenzen verschwimmen. Auch wenn das Bewusstsein für Gewalt gegen Frauen gerade wächst, stellt sich die Mehrheitsgesellschaft oft nicht klar hinter die Frauen. 

Die schönste Version

Demnächst

Die späten Nullerjahre, frühen 2010er Jahre in einer ostdeutschen Kleinstadt: Die schönste Version erzählt die Geschichte von Jella und Yannick, von der ersten großen Liebe, die alles richtig machen will. Bis es kippt. Wieder zurück in ihrem Kinderzimmer fragt Jella sich, wie es so weit kommen konnte. Sie schaut noch einmal genauer hin: auf ihr Aufwachsen in der Lausitz. Kleinstadt und Kiesgruben, Gangsterrap und Glitzerlipgloss. Auf Freundinnen, die sie durch so vieles trugen. Und auf den Moment, in dem Yannicks Hände sich um ihren Hals schlossen.

Die schönste Version ist die Geschichte eines Erwachens, Erkennens, Anklagens, eine große Introspektion: Ruth-Maria Thomas schreibt über das Frauwerden, Frausein, von Körpern, Begierden und tiefen Abgründen. Mit stilistischer Brillanz, großer Leichtigkeit und Drastik erzählt Ruth-Maria Thomas in ihrem funkelnden Debütroman von den schönsten Dingen. Und den schrecklichsten.


«Ich bin beeindruckt – von der Intensität dieses Romans und der Hartnäckigkeit, mit der Ruth-Maria Thomas das Schicksal ihrer Heldin Jella zu ergründen sucht.» Julia Schoch (Das Liebespaar des Jahrhunderts, dtv 2023)

«Ich wünschte, es hätte dieses Buch schon in meiner Nachwendejugend gegeben. Hier steckt so viel Wissen drin, was damals schmerzlich fehlte.» Hendrik Bolz (Nullerjahre, Kiwi 2022)


«Ich hatte mir das alles anders vorgestellt: Yannick und ich hätten einfach nur in unserer schönen hellen Wohnung gelebt, viele Pflanzen, gesundes, kräftiges Grün. Es hätte für immer nach der Minze von unserem Balkon geduftet, wir hätten befreundete Pärchen gehabt, die zum Dinner zu uns gekommen wären, wir hätten Dinner gesagt, nicht Abendbrot. Lunch, Dinner, das wäre uns ganz leicht von den Lippen gegangen. Wir hätten gemeinsam Lasagne gekocht, mit Zitronenpfeffer. Unsere Gesichter wären rötlich gewesen von der Hitze der Herdplatten, dem Wein und unseren angeregten Gesprächen. Fin. Stattdessen liege ich hier in meinem alten Kinderzimmer mit pochendem Hals und einem entrückten Gefühl. Alles kaputt, nirgendwo Minze, keine Scheißlasagne.»

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Jeden Tag lesen wir von steigenden Zahlen von Gewalt an Frauen. Gibt es etwas, das dir trotz allem Hoffnung schenkt, wenn du von häuslicher Gewalt liest oder darüber schreibst?

Dass immer mehr Menschen aufstehen und dagegen ankämpfen. Dass Menschen darüber sprechen. Dass Frauen zusammenhalten. Es gibt so viele tolle Menschen, die ehrenamtlich oder im sozialen Bereich gegen häusliche Gewalt vorgehen. Das gibt mir Hoffnung.

Ich würde mir sehr wünschen, dass auch Männer dieses Buch lesen.

Was können wir als Gesellschaft tun, um Frauen besser zu schützen und es ihnen leichter zu machen, zu gehen?

Wir müssen die Gewalt benennen. Denn häusliche Gewalt ist kein individuelles, privates Problem. Es braucht ein Bewusstsein für die Grenzüberschreitung, für das Unrecht. Dass junge Frauen von ihren Erfahrungen sprechen, ist wichtig. Als Gesellschaft müssen wir diese Stimmen schützen und ihnen Raum zum Erzählen geben, damit wir den toxischen Liebesbildern etwas entgegensetzen und uns von ihnen befreien können.

 

Was wünschst du dir von den Leser:innen deines Buchs?

Dass es sie berührt, denn wenn wir berührt werden, mitfühlen, werden wir empfänglich für die Geschichten anderer. Und: Ich würde mir sehr wünschen, dass auch Männer dieses Buch lesen.

 

Ruth-Maria Thomas

Ruth-Maria Thomas

Ruth-Maria Thomas, 1993 geboren und in Cottbus aufgewachsen, war als Sozialarbeiterin in der Jugendhilfe tätig. Sie studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und ist Mitgründerin des erotischen Literaturmagazins Hot Topic!. 2022 war sie Finalistin des Open Mike. In ihren Texten, die u. a. im Rundfunk und in Literaturmagazinen erscheinen, beschäftigt sie sich immer wieder mit den Fallstricken weiblicher Sozialisation. Zuletzt erschien ihre Kurzgeschichte Glitzer in DAS GRAMM und wie ich frau bin bei SuKuLTuR.