Wer war Hanna? Diese Frau, die so oft aus der Rolle fiel, die nacheinander ihre drei Studienfreunde heiratete und drei Töchter bekam, immer mit Gedichten im Kopf, über die sie den Alltag vergaß, die ihren Platz suchte zwischen den Erwartungen der Familie an sie und den eigenen Ansprüchen ‒ und nur selten für sich sein konnte. Viele Jahre nach Hannas Tod blickt die jüngste Tochter zurück auf das Leben ihrer Mutter, auf die eigene Kindheit im Rheinland der Siebziger und Achtziger. Ein Leben zwischen Bürgerlichkeit und Boheme ‒ bis sich Hanna entscheidet, die Familie zu verlassen und ihr Leben allein von vorn zu beginnen.
Mit großer Einfühlsamkeit und Leichtigkeit erzählt Caroline Peters von den Fragen einer Tochter an die verstorbene Mutter und an sich selbst ‒ und davon, was es heißt, eigene Wege zu gehen. Ein sehr persönliches Buch, kraftvoll, berührend und von hinreißendem Humor.
DAS INTERVIEW
Liebe Caroline Peters, Hanna ist das energetische Kraftzentrum Ihres Romans. Promovierte Slawistin, Lyrikübersetzerin mit einem Faible für die Kunst der russischen Avantgarde. Eine Frau, die aus der Rolle fällt: unkonventionell, kompliziert, lebensneugierig, dominant, lustig. Auch Ihre Mutter Johanne Peters war Literaturwissenschaftlerin. Aber Johanne ist nicht Hanna …
Nein, absolut nicht. Es ist natürlich alles dramatisch verdichtet und zugespitzt. Aber mich hat der Blick meiner Mutter nach Osten, nach Russland fasziniert, ein Blick, der tatsächlich sehr von Kunst, Literatur, Dichtung geprägt war. In dem bürgerlichen Umfeld im Westdeutschland der 60er, 70er und 80er, in dem sie sich damals bewegt hat, ist sie mit ihren Denkweisen stark angeeckt. Ich glaube nicht, dass sie das Anecken um des Aneckens willen genossen hat. Ich denke eher, das war Stress für sie. Was so oft als befreiende Emanzipation gelesen wird, bedeutet nicht selten nur, sich mit aller Kraft zu wehren. Hanna befreit sich nicht von ihrer Familie, es bleibt ihr lediglich keine andere Wahl. Die Rolle der Mutter im Haushalt lässt sich in ihrer Zeit nicht anders gestalten denn als Familien-Muli. Und da sie wirklich schreiben will, bleibt ihr nichts anderes übrig, als zu gehen. Schöner wäre es, zu bleiben und trotzdem zu schreiben.
«Mitschreiben am Buch Hanna» – in diesem Familienclan läuft das auf einen mindestens sechsstimmigen Chorsatz hinaus. Hanna und ihre drei Töchter von drei (Ex-)Ehemännern – das ist die Grundkonstellation des Romans. Ist Ihnen eigentlich Familienpatchwork aus der eigenen Kindheit vertraut?
Nein, aus der Kindheit nicht, unsere Familie hat sich erst später in das verzweigt, was man so gern als Patchwork bezeichnet. Hinter dem «Mitschreiben am Buch Hanna» steckt die Idee, dass sich das Bild, das sich eine Familie von sich macht, aus vielen mündlichen Erzählungen und Überlieferungen zusammensetzt, ein imaginäres, bibelartiges Buch, an dem viele mitschreiben und dessen Auslegung mitunter hart umkämpft ist. In meiner Erfahrung sind es die Frauen, die der Familie die Familie erzählen.