Im Gespräch

Der Hass rückt immer näher

Tobias Ginsburg über Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats

Tobias Ginsburg

«Der westliche Mann wird unterdrückt und verweiblicht, er ist vom Aussterben bedroht.» So klingt das immer lauter werdende Kriegsgeheul der Antifeministen, das zu einem Mantra der wieder erstarkenden Rechten geworden ist. Man hört es von hyperaggressiven Maskulisten und Internet-Hetzern, von testosteronverklebten Sexisten und neurechten Frauenhassern. Tobias Ginsburg hat sich ihnen ein Jahr lang undercover angeschlossen, um herauszufinden, wo diese Ängste und all der Hass herrühren. Er trifft auf rechtsradikale Burschenschafter und faschistische Rapper, auf Online-Trolle und Offline-Schläger, Incels und Identitäre. Und schließlich stößt er in seiner Recherche auf ein international agierendes Netzwerk antifeministischer Fundamentalisten.

 Wenn es kein Masochismus und keine morbide Faszination ist – was ist es, das Sie in die Abgründe hassgeladener Männlichkeit getrieben hat?

Eine morbide Neugierde für menschliche Abgründe habe ich ganz bestimmt. Aber auch wenn es vielleicht paradox klingt: In erster Linie treibt mich die Angst. Es gibt ja gute Gründe, Angst zu haben: Die Antidemokraten und Faschisten werden stetig lauter, schreien in den Straßen und in den Parlamenten, ihr Hass wird zusehends militant und mörderisch. Aber wenn wir darüber sprechen, neigen wir dazu, deren Selbstinszenierung und Inhalte wiederzugeben – und festigen so ihren Mythos. Und ich weigere mich, das zu tun. Ich weigere mich, Angst zu haben. Also muss ich dahin. Ich will hinter die bedrohlichen Fassaden schauen. Und ich will verstehen, was Menschen in diese hasserfüllten Ideologien hineinreißt. Das ist auch irgendwo mein Privileg als weißer Mann: Ich kann das, was mir Angst macht, aus nächster Nähe betrachten. Ich kann die Menschenfeinde als Menschen kennenlernen, als widersprüchliche, wutzerfressene, zerrissene oder auch verzweifelte Typen. Das macht sie zwar nicht weniger gefährlich, aber es entzaubert sie. Es nimmt ihnen ihre Kraft. Und wenn wir gegen ihre lebensgefährlichen Ideologien vorgehen wollen, dürfen wir nicht wegsehen.

 


«Ich bin Alpha», schreiben Sie. «Ich muss nur schweigen, nicken, hochstapeln. Gelegentlich meine Sätze aufsagen.» Hat es Sie überrascht, wie wenig Sie tun mussten, um in diesen rechtsmilitanten Kreisen undercover durchzukommen?

Nicht wirklich. Ich habe ja schon vor mittlerweile über zehn Jahren mit meinen merkwürdigen Undercover-Recherchen begonnen. Damals bin ich als junger Student mit einer ziemlichen Naivität in eine rechtsextreme Burschenschaft reingestolpert, lebte seitdem mal in einer Sekte, schloss mich Reichsbürgern an oder trank mit Islamisten Tee. Aber egal wo ich mich herumtreibe, im Grunde geht es immer bloß um Macht. Ich muss mich also nur wichtig genug machen und dann diese Machtspielchen mitspielen. Wir alle mögen doch Menschen, die uns nach dem Mund reden, die Ja-Sager, Kopf-Nicker und Mitmacher. So einer bin ich dann. Na gut, und man muss die Sprache dieser Menschen verstehen. Aber mittlerweile spreche ich fließend Rechtsextrem – und das in allerhand fiesen Dialekten.

 

«Der autoritäre Kampf gegen Demokratie und Pluralismus hat viele Schlachtfelder. Aber der Krieg gegen die Frau, so scheint es, hat nicht nur Tradition. Er hat Priorität.» Ist dies das Fazit, auf das Ihre Ermittlungen hinauslaufen, egal ob es sich um die Alte Burschenschaft der Raczeks zu Bonn, Incels, Alt-Rights, Ordo Iuris oder rechtsradikale Rapper dreht?

Ganz genau! Es ist kein Zufall, dass sich der Angriff auf die Demokratie und offene Gesellschaften so oft zunächst gegen Frauen, sexuelle Minderheiten und Feminismus richtet. Es geht hier um die Agitation von gekränkten Männern, von einem Versprechen von Härte und Macht! Die Vorstellungen einer «Krise der Männlichkeit» und der «feministischen Bedrohung» sind nicht nur massentauglich und anschlussfähig, sie appellieren auch so schön an die Emotionswelt verunsicherter Männer. Wer sich auf derartige Vorstellungen einlässt, der hat dann nicht nur Angst um seine Privilegien – für den stehen gleich die eigene Identität und Existenz auf dem Spiel! Der soziale Fortschritt an sich wird zum Feind – und das reaktionäre Gegenangebot der radikalen Rechten erscheint plötzlich appetitlich: «Irgendwann kannst du wieder der Mann sein, der du eigentlich sein willst – aber dafür muss dieses Land wieder so hart werden, wie es früher einmal war.»

 

Günter Wallraff schreibt im Vorwort, dass Sie im Falle einer Enttarnung mit Ihrer Gesundheit, vielleicht mit Ihrem Leben hätten bezahlen können. Gab es Situationen, in denen Sie Angst hatten, nicht wieder heil aus der Sache rauszukommen?

Die gab es tatsächlich ab und an, auch wenn ich das immer erst rückblickend so richtig begriffen habe. Mal war es ein schwer alkoholkranker Reichsbürger, der in die Gruppe lallte, ich käme ihm wie ein Spitzel vor. Oder ein anderes Mal wurde eine Gruppe Neonazis so richtig ungemütlich, weil ich nur unregelmäßig zu den Treffen erschien – zu so einem rechtsextremen Männerbund gehört man eben ganz oder gar nicht. Aber in solchen brenzligen Momenten funktioniere ich. Ich mache einfach weiter und spiele mit. Was bleibt mir auch anderes übrig? Wie saugefährlich diese Situationen eigentlich sind, begreift man zum Glück erst hinterher. 

 

Sie beziehen sich mehrfach auf Klaus Theweleits Klassiker «Männerphantasien», in dem er die soldatischen Codes der faschistischen Körpermaschinen auseinandernimmt. Theweleit, das war 1977/78. Was hat sich in den vergangenen Jahren an der Kampffront der Patriarchatskrieger verändert, Stichwort Internet, Cyberhass?

Klar haben sich Dinge verändert. Die Vernetzung der Extremisten ist unvergleichlich einfacher geworden, die Verschwörungsmythen haben sich international angeglichen, und großangelegte Kampagnen schüren übers Netz den Hass auf der ganzen Welt und lassen ihn auch immer mehr an die bürgerliche Mitte andocken. Aber das eigentlich Erschreckende ist ja, wie viel gleich geblieben ist! Die Faschisten mögen seit 1945 sehr anders auftreten, und die Neonazis haben mittlerweile ziemlich gute Frisuren, aber es sind immer noch dieselben Feindbilder und dieselben düsteren Versprechen, mit denen Menschen gelockt und radikalisiert werden. Rechtsextreme sind eben vieles, aber nicht originell. 

 

Oft hat es Ihnen den Magen vor Wut, Abscheu und Ekel umgedreht, wenn Ihre frauenhassenden Gesprächspartner so richtig vom Leder gezogen haben. Wie haben Sie das ausgehalten? Haben Sie sich im Vorfeld «gesprächstherapeutisch» auf das vorbereitet, was Ihnen in dieser «eiskalten Testosteronwelt» begegnete?

Ach, zum einen ist mir mittlerweile eine ziemliche Hornhaut auf der Seele gewachsen, zum anderen wäre das Ganze ja gar nicht so unerträglich, wenn diese Dinge wirklich nur in diesen hassverklebten Parallelwelten zu hören wären. Aber das sind sie nicht. So richtig verstörend ist dieser menschenverachtende Scheiß ja, weil er schon längst auch die gemütliche Mitte unserer Gesellschaft erreicht hat. Wir machen es uns zu einfach, wenn wir eine Trennlinie zwischen «uns» und «denen» ziehen. Eine klare Grenze gibt es nicht, und der Hass ist uns allen schon verflucht nah gekommen. 

 

Wie hat Ihr privates und berufliches Umfeld auf Ihre Exkursion in die Gruselwelt der Hypermaskulinen reagiert? Wussten eigentlich Ihre Freund:innen, Kolleg:innen Bescheid über Ihr «Zweitleben»?

Dass sich der Ginsburg wieder irgendwo rumtreibt, das wissen natürlich einige. Aber nur ganz wenige wissen, wo genau, und die Details behalte ich sowieso lieber für mich. Das ist ja ein ganz schrecklicher Mensch, mit dem ich mir während meiner Recherchen den Körper teilen muss. Da muss ich versuchen, ihn, so gut es geht, aus meinem Privatleben herauszuhalten.

Die letzten Männer des Westens

„Der westliche Mann wird unterdrückt und verweiblicht, er ist vom Aussterben bedroht.» So klingt der immer lauter werdende Kriegsschrei der Antifeministen, der zu einem Mantra der wieder erstarkenden Rechten geworden ist. Man hört ihn von hyperaggressiven Maskulisten und hasszerfressenen Internet-Hetzern, von testosteronverklebten Sexisten und neurechten Frauenhassern. Tobias Ginsburg hat sich ihnen ein Jahr lang undercover angeschlossen, um herauszufinden, wo diese Ängste und all der Hass herrühren.

Seine Recherche führt ihn quer durch Deutschland und das Internet, in die USA und nach Polen. Er trifft auf rechtsradikale Burschenschafter und faschistische Rapper, auf Online-Trolle und Offline-Schläger, Incels und Identitäre, lässt sich zum «wahren Mann-Sein» anleiten und begleitet muskelbepackte Neonazis bei der Rekrutierung junger Männer. Und schließlich stößt er auf ein international agierendes Netzwerk antifeministischer Fundamentalisten.

Eine so beklemmende wie komische Reise in eine zutiefst gefährliche Welt mitten unter uns.


»Ein leidenschaftlicher Aufklärer.« MDR Sachsenspiegel

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Tobias Ginsburg

Tobias Ginsburg

Tobias Ginsburg, Jahrgang 1986, ist Autor und Regisseur. Er studierte Dramaturgie, Literaturwissenschaft und Philosophie. 2016 war er Fellow des Hanse-Wissenschaftskollegs, 2020 erhielt er das Grenzgänger-Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung.