«Sowohl als auch» heißt das Café in Prenzlauer Berg, in dem Syd Theo kennenlernt. Theo ist Filmemacher, alleinstehend, charismatisch. Syd weiß sofort, dass es die Art von Liebe ist, die sie vermutlich nur einmal erleben wird. Die beiden bekommen ein Kind, ziehen zusammen, erleben großes Glück und überstehen kleine Krisen. Doch dann erhält Theo eine niederschmetternde Diagnose: ALS. Die Krankheit, an der auch Stephen Hawking litt. Von dem Mann, in den Syd sich einst verliebt hat, ist Tag für Tag weniger übrig. Und doch kämpft sie um ihn. Sie will das, was von ihrem Glück noch übrig ist, unbedingt bewahren. Bis sie eines Tages eine Entdeckung macht, die ihr den Boden unter den Füßen wegzieht.
Das Interview
Liebe Syd Atlas, eine biographische Frage vorweg: Was hat das «Mädchen aus Brooklyn» nach Berlin gebracht: ein großartiger Job, eine frische Liebe, pure Abenteuerlust?
In erster Linie Abenteuerlust. Ich hatte in London Theater studiert und mich schon nach kurzer Zeit mit dem Europa-Fieber angesteckt – kaum war ich zurück in New York, wollte ich unbedingt wieder nach Europa. Berlin war eine eher zufällige Wahl. Ich konnte kein Wort Deutsch; ich kannte niemanden und hatte keine Ahnung, was ein Kohleofen war. In der Zeit nach dem Mauerfall, Anfang/Mitte der 1990er Jahre, gab es hier das Gefühl von «Alles ist möglich», das fand ich sehr aufregend. Ich bin buchstäblich mit einem Koffer und einem Traum nach Berlin gekommen, mehr oder weniger …
Sie konfrontieren Ihre Leser*innen gleich auf den ersten Seiten damit, dass jenseits der fürchterlichen Erkrankung Ihres Ehemanns Theo an ALS noch ein anderer Schrecken auf Sie wartete: jener «Sekundenbruchteil, in dem mein Leben zerbrach». War es nie eine Option, diesen Teil der Geschichte im Buch nicht zu erzählen und damit dem Blick der Öffentlichkeit zu entziehen?
Nein, das war für mich nie eine Option. Denn es ist kein Buch über Krankheit und Tod. Es ist ein Buch über das Leben und die Liebe. Es geht darum, wieder auf die Beine zu kommen, wenn man hingefallen ist.
Dass mein Mann, der ein Hypochonder war, die schlimmstmögliche Krankheit bekam: das ist das Erdbeben, das die Geschichte in Gang gesetzt hat. Aber jeder weiß, dass es nach einem Erdbeben oft noch Nachbeben gibt. Und diese Nachbeben können manchmal sogar noch zerstörerischer sein. Ich musste die ganze Geschichte erzählen – die des Bebens und die der Konsequenzen daraus auf unser Leben.
Vier Monate nach Theos erster Diagnose haben Sie in Kopenhagen geheiratet; in Berlin und New York wurden dann Hochzeit Nr. 2 und 3 gefeiert. War Ihnen da bewusst, dass dies der Anfang vom Ende des gemeinsamen Lebens sein könnte, oder überwog da noch die Hoffnung?
Zu diesem Zeitpunkt haben wir sehr intensiv gelebt und geliebt. Wir waren so glücklich, dass wir uns eine Zeitlang auf etwas Schönes konzentrieren konnten. Als Unterbrechung von der intensiven medizinischen Recherche und den vielen Arztbesuchen haben wir die Playlist für unsere Hochzeit in Berlin zusammengestellt. Wir waren noch voller Hoffnung – und wir spielten im selben Team: gemeinsam gegen die Krankheit.
Den Augenblick, als wir heirateten, könnte man als den Höhepunkt unserer Beziehung sehen. Zugleich war es der Anfang vom Ende.
Natürlich hat sich mit jeder von den Ärzten bestätigten Diagnose das Fenster zur Hoffnung ein Stück weiter geschlossen. Unser Hoffnungsschimmer ist dann langsam erloschen. Und weil die Ärzte außer palliativen Medikamenten nichts anzubieten hatten, gab es nur die Alternative, nach anderen Quellen zu suchen: sei es Heike, die Heilerin, oder das bahnbrechende ALS-Medikament aus Israel, das noch nicht mal auf dem Markt war. Wir wollten nicht aufgeben.
Parallel zu Theos Erkrankung sind Sie beruflich als Kommunikations- und Rhetorikcoach durchgestartet, Dienstreisen zu Konferenzen in Chicago etc. inklusive. War diese asynchrone Dynamik auch ein Grund für das, was Sie beide am Ende auseinandergebracht hat?
Es wurde immer schwieriger, diese gegensätzlichen Leben miteinander zu vereinbaren. Tagsüber zeigte ich Managern und Firmenchefs, wie sie selbstbewusst und authentisch auf großer Bühne rüberkommen. Dabei haben wir viel an ihrer Körpersprache und der Art zu kommunizieren gearbeitet. Letztendlich ging es darum, sie in ihren Jobs zu besseren Leadern zu machen.
Und dann kam ich nach Hause, wo mein Mann in einem Krankenhausbett lag, an eine Beatmungsmaschine angeschlossen. Der einzige Weg, wie er mit mir sprechen konnte, war mit der künstlichen Stimme einer Britin, die er auf sein Smartphone geladen hatte. Er selbst hatte da schon seine Stimme verloren. Größer hätte die Kluft zwischen Karriere und Privatleben kaum sein können. Das waren schwierige Zeiten, aber irgendwie gewöhnt man sich auch daran. Erst als er mir über sein Handy mitteilte, dass er eine andere Frau liebt – erst das hat uns endgültig auseinandergebracht.
Es gibt eine Stelle im Buch, an der man nicht vorbeikommt: «Wir zerbrechen alle. Wir sind alle Crashtest-Dummys, aber es gibt keine Airbags, und wir bereiten uns auf den Aufprall vor.» Ist es dieses Gefühl, wenn Sie schreiben: «My world is falling apart»?
Ja, auf jeden Fall. Es ging immer alles so schnell. Gerade hatte man sich an eine Situation gewöhnt und – Boom! – gab es schon wieder ein neues Problem. Wir hatten das Gefühl, immer einen Schritt hinterherzuhinken, so als ob man am Bahnhof ankommt und der Zug fährt einem vor der Nase weg. Immer wieder und wieder. Das ist anstrengend, für alle Beteiligten. Ich fühlte mich immer total hin- und hergerissen zwischen den Bedürfnissen meines Mannes und denen meiner Kinder. Ich wollte vor allem, dass sie eine unbeschwerte Kindheit haben. Aber gleichzeitig konnte Theo natürlich nichts dafür, dass er diese schreckliche Krankheit hatte.
Manche mögen beim Lesen Ihres Buches einen inneren Soundtrack im Ohr haben – mit Zeilen wie «Sweet dreams are made of this. Who am I to disagree?» von den Eurythmics. Oder «Strumming my pain with his fingers / Singing my life with his words …» aus Lauryn Hills «Killing me softly». Was hat Sie in dieser zermürbenden Zeit am meisten abgelenkt, entspannt, getröstet?
Meine Kinder! Freitagabends zusammen auf dem Sofa zu sitzen und alle 11 Staffeln von «Friends» zu schauen – das hat uns glücklich gemacht. Zusammen lachen, unbeschwert sein.
Meine Freunde natürlich. Echte Freunde, so sagt man, kann man auch morgens um 3:00 Uhr anrufen. Zum Glück sind meine Freunde über die ganze Welt verstreut, sodass ich dank verschiedener Zeitzonen immer jemanden hatte, mit dem ich sprechen konnte.