Im Gespräch

Mit Herz und Schnauze

Auf nach Sylt! Hinreißende Geschichten aus der nördlichsten Tierarztpraxis Deutschlands

Stephanie Petersen mit ihren drei Hunden, dazu die Überschrift "Interview mit Stephanie Petersen"
© Sonja Rommerskirch

Schon als kleines Mädchen wollte Stephanie Petersen Tierärztin werden. Der Liebe wegen strandete sie auf Sylt – dort, wo andere Urlaub machen, führt sie seit zwei Jahrzehnten ihre eigene Praxis. In ihrem Alltag mit kleinen und größeren Tieren gleicht kein Tag dem anderen, und in all den Jahren hat Dr. Petersen viel erlebt. Lustige Begegnungen mit Hunden und ihren Haltern, dramatische Rettungsaktionen und traurige Abschiede von langjährigen Weggefährten, all das vor der großartigen Kulisse der schönsten Insel Deutschlands. Diese Geschichten erzählt sie nun – mit Witz, Tempo, Feingefühl und vor allem einem großen Herz für Tiere.

DAS INTERVIEW

Der Weg zum Traumberuf ist selten ein gerader. Als Sie sich damals in Leipzig zum Test im Veterinärmedizinischen Institut einfanden, bekamen Sie von einem professoralen Grauschopf dies mit auf den Weg: «Tiermedizin ist ja wohl ein Männerberuf. Wie kommen Sie denn auf den Gedanken, als Frau in diesem Beruf Fuß fassen zu wollen?» Hat Sie das überhaupt nicht verunsichert?
Wirklich nur kurz. Da draußen laufen ja nicht nur Zwei-Meter-Hünen als Tierärzte herum, die Kälber zur Welt bringen und wilde Pferde spritzen. Gibt es heute noch typische Männerberufe? Nicht wirklich. Wir Frauen sind flinker – und kleine Hände können bei Geburten durchaus von Vorteil sein im engen Geburtskanal. In der Tiermedizin sind heute sehr handfeste Frauen unterwegs, die ordentlich zupacken können, enorm klug sind und weder nasses Wetter scheuen noch eine Horde wilder Rinder.

Dass Sie als Tierärztin einmal mit Schafen, Hühnern, Schweinen, Pferden, Hamstern, Katzen und zahllosen Hunden zu tun haben würden, damit war zu rechnen. Aber Riesenkakerlaken, Kois, Kornnattern, sogar Kreuzspinnen und Axolotl?
Das sind die wahren Herausforderungen im Leben eines Tiermediziners. Stimmt schon, auf Axolotl hat man uns im Studium nicht vorbereitet. Und ob sie dich anspringen, beißen oder anpinkeln, das merkt man dann schon. Es macht aber enormen Spaß, diese exotischen Erdbewohner zu beobachten, sie anzufassen und zu behandeln. Gegebenenfalls ist eine gut sortierte Bibliothek mit Fachliteratur ziemlich hilfreich. Und eine Schlange im Röntgenbild ist auch für uns immer wieder spannend.

Das größte Glück sind die Abendstunden, wenn alle in unserer Nähe zusammengerollt friedlich schlafen.

Einen besonderen Platz in Ihrem Herzen haben offenbar Pferde (und da speziell und aus gutem Grund Trakehner) und Hunde. Es müsste bei Ihnen zu Hause ganz schön bunt und trubelig zugehen – wie viele Vierbeiner wuseln derzeit auf dem Hof um Sie und Ihre Familie herum?
Es ist wirklich ein buntes Treiben. Ich lebe mit meinem Partner auf einem von ihm entworfenen wunderschönen Gestüt, nah am Wattenmeer, wo wir Trakehner züchten, eine hochedle Pferderasse; und Jahr für Jahr erfreuen wir uns an deren Fohlen. Und was die anderen Vierbeiner angeht: Wir haben tatsächlich «nur» fünf Hunde. In jeder Größe einen. Einige sind gerettete Hunde, andere haben wir in die Beziehung mitgebracht. Das größte Glück sind die Abendstunden, wenn alle in unserer Nähe zusammengerollt friedlich schlafen. Aber was wäre dieses Glück ohne unsere phänomenale Putzfrau, ohne ihre Umsicht und Tatkraft! Wir haben ein Dauerabo für zerpflückte Fußmatten, der Elektriker kommt nicht wieder, weil Franzi ihm ein Stück Stoff aus der Hose gestanzt hat … Noch Fragen?

Als nördlichste Tierärztin Deutschlands residieren Sie ja nicht irgendwo, sondern auf der bildschönen Nordseeinsel Sylt. Und da kann es angesichts der Überflutung der Insel mit Reichen & Schönen nicht ausbleiben, dass hin und wieder auch einmal die Prominenz bei Ihnen einfällt. Das ist dann vermutlich kein ganz normaler tierärztlicher Alltag, wenn Jürgen Klopp mit seiner Frau oder der Modedesigner Guido Maria Kretschmer samt Partner um Hilfe bitten?
Tatsächlich tummeln sich auf der Insel viele unterschiedliche Menschen. Der typische Insulaner, der Camper, die Neureichen, die Berühmten und diejenigen, die so tun, als wären sie es. Komischerweise sind die A-Promis wie Jürgen Klopp und seine Frau Ulla oder auch Guido und sein Mann Frank herrlich lockere und unkomplizierte Leute. Wenn es um ihre Lieblinge geht, leiden alle gleich. Klopps melden sich regelmäßig aus Liverpool, wenn ihrer Emma etwas fehlt. Die fünf russischen Zarenhunde von Guido bekommen natürlich ebenfalls jegliche Versorgung, die sie brauchen. Aber egal ob reich und schön oder alt und wackelig: Ich behandele alle Tiere gleich, denn die Angst um das Wohlergehen ihres Tieres lässt alle Menschen gleich fühlen.

Es gibt so viele herrliche Stellen in Ihrem Buch, angefangen beim zuckersüßen Welpen Marcella aus Kreta, dem liebestollen Neufundländer Amos oder dem schwangeren Schwein Wilma, das mit Nussschokolade und Trauben aufgepäppelt wird. Aber meine absolute Lieblingsstelle ist die Episode, die sich nachts um 1.55 Uhr (!) ereignet: «Hier ist Frau Andersen, mein Kater guckt so komisch.» Passiert so etwas öfter?
Sagen wir es so: nicht selten. Notdienste sind unter Tiermedizinern nicht wirklich beliebt. Die Hemmschwelle oder besser gesagt: die Meldeschwelle wird immer geringer. Die Panik, der Liebling könnte ganz plötzlich tot umfallen, nimmt signifikant zu. Eine Zecke am Kopf muss (!) nachts um 2 Uhr entfernt werden, der Durchfall ebenso. Es ist doch so: Auf Sylt kommt man nachts öfters recht spät nach Hause, weil die Sansibar so herrlich war; um 3 Uhr nachts sieht man dann, dass der Hund, der den ganzen Abend alleine war, alle Champagnertrüffel plus die Cognac-Schoko-Eier verspeist hat. Lecker für den Hund, schlecht für uns Tierärzte. In diesen Nächten schläfst du nicht wieder ein.

Auch mich nimmt es nach mehr als 20 Jahren immer noch sehr mit, wenn ein Tier diese Welt verlässt.

«Mein Leitspruch ist: ‹Wir helfen ihnen auf die Welt, und wir helfen ihnen aus der Welt.›» Sie können nicht jedes kranke Tier retten, zu dem Sie gerufen werden. Wie schwer ist es, die richtigen Worte zu finden, wie etwa im Fall des schwarzen Labradors Zorro?
Auch mich nimmt es nach mehr als 20 Jahren immer noch sehr mit, wenn ein Tier diese Welt verlässt. Hat es gut und lange gelebt und die Uhr der Zeit läuft ab, dann bin ich ganz ruhig und zufrieden, fahre mit dem Auto und sinnlicher Musik nach Hause. Verliere ich aber ein junges Tier, welches diese wunderbare Welt noch gar nicht richtig erkunden durfte, oder habe ich gerade einen dramatischen Todesfall erlebt, dann brauche auch ich Taschentücher. Dann setze ich mich abends zu meinem Rudel, tauche tief ein in dieses harmonische Gefühl der Geborgenheit, des Zusammenhalts, spüre ihr warmes Fell, genieße das Lecken der Hände und ihr ruhiges Atmen. Das Mitansehen des tiefen Schmerzes von Menschen, die ihr geliebtes Tier verlieren, zerreißt mir bis heute das Herz. Ich sage dann immer: «Ihr seht euch wieder!»

Allzu zartbesaitet darf man als Tierärztin nicht sein. Einen guten Schuss Pragmatismus braucht aber auch der Mann Ihres Herzens, wenn er realisiert, «dass ich in der Eile schon mal das Reagenzglas mit dem weit gereisten Pferdesperma zwischen Actimel und der Grillsauce im Seitenfach des Kühlschranks platziere oder unseren privaten Taubenimpfstoff zwischen dem Moët & Chandon und dem kalten Radler parke …» Gibt’s da nie Stress im Hause Petersen/Altmiks?
Aber natürlich. Deshalb braucht man ja auch einen Partner mit viel Humor. Ich sage dann immer: Konzentriere dich im Alter, sonst nimmst du das falsche Röhrchen. Wir Tierärzte sind schon ein recht unkompliziertes Völkchen, und bei so viel Stress und Arbeit muss Platz sein für schnelles Handeln und kurze Wege. So ein Kühlschrank muss eben alles beherbergen. Es darf nur kein Gast wissen …

An einer Stelle des Buches geht es um skandalös unzureichende Vorgaben zur Tierhaltung – dort schreiben Sie: «Wie gerne würde ich mal in der Politik mitmischen, die Verantwortlichen hätten wahrlich nichts zu lachen, aber dazu fehlt mir bei so viel Arbeit in der Praxis einfach die Kraft.» Stellen Sie sich vor, Sie wären für einen Tag verantwortliche EU-Kommissarin für Landwirtschaft und könnten bindende Beschlüsse treffen: Was wäre Ihnen am wichtigsten?
Alle Tiere in der Landwirtschaft benötigen mehr Platz für ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen. Landwirte müssen finanziell erheblich mehr unterstützt werden, damit sie in der Lage sind, sich einen Umbau zu Lauf- und Außenställen auch leisten können. Sonst gibt es in 20 Jahren keine echten Landwirte mehr, sondern nur noch Massentierhaltung mit Billigfleisch. Und was verboten gehört, sind Viehtransporte ins Ausland.

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Stephanie Petersen

Stephanie Petersen

Stephanie Petersen studierte in Leipzig Veterinärmedizin. Anschließend arbeitete sie in einer Berliner Kleintierklinik und ließ sich 2001 als Tierärztin für Groß- und Kleintiere auf Sylt nieder. Ihre besondere Vorliebe gilt alten Tieren samt ihrer teils schrulligen Eigenheiten. Auch zu ihrem Privatleben gehören neben ihren Söhnen selbstverständlich Tiere: Auf ihrem Hof leben fünf Hunde, von denen sie drei aus Tötungsstationen gerettet hat, 17 Hühner - und Stephanie Petersen betreibt eine Trakehner-Zucht.