Dein neuer Roman Vierundsiebzig erzählt von der Geschichte der Jesid:innen, vom Aufwachsen in der Diaspora. Und vor allem vom 74. Ferman, von dem Genozid an den Jesid:innen 2014 in Shingal. Kannst du dich noch erinnern, wann und auch wie du begonnen hast, an deinem Text zu arbeiten? Und ob sich deine Zielrichtung im Laufe der Zeit verändert hat?
Ich denke, ich habe im Juni 2018 begonnen, als ich in die Autonome Region Kurdistan gereist bin. Es war das erste Mal, dass ich dort war. Als Kind bin ich immer nur im Dorf meiner Großeltern, jenseits der Grenze, in Syrien gewesen. Ich bin planlos umhergereist. Ich habe Verwandte besucht. Und auch wenn der IS die Autonome Region Kurdistan nie eingenommen hat: Vier Jahre nach dem Genozid standen alle unter Schock. Das, was ich gesehen und gehört habe, hat sich mir eingeprägt. Später habe ich an den Ereignissen entlanggeschrieben. Der IS war militärisch noch nicht besiegt, die Zukunft des Irak ungewiss, ebenso die Syriens, der Türkei, wo das Herkunftsgebiet der Jesiden liegt. Die Zukunft der Jesiden noch ungewisser: ob es überhaupt eine gibt. Anfangs wusste ich nicht, worauf der Text zusteuern würde, später dachte ich, er steuert auf gar nichts zu.