Ralph Krass – ein Kraftmensch, der Menschen mit kannibalischem Appetit verbraucht. Eine dionysische Existenz, die leibhaftige Verkörperung von Nietzsches «Willen zur Macht». Ist er unendlich reich oder nur ein Hochstapler, kalt berechnend, oder träumt er hemmungslos? Als in Neapel die schöne Belgierin Lidewine in seinen Kreis tritt, bietet er ihr einen ungewöhnlichen Pakt an. Beobachtet wird das Ganze von Dr. Jüngel, seinem Sekretär und dienstbarem Geist, mit einem Blick voll Neid und Eifersucht. Der Pakt endet im Eklat. Erst viele Jahre später, in Kairo, wird klar, wie alles mit allem rätselhaft zusammenhängt.
«Krass» – eines der fesselndsten, überraschendsten Bücher, die Martin Mosebach bisher geschrieben hat. Eine große Erzählung, die den Bogen von Neapel über Frankreich bis nach Kairo schlägt – über das, was das Verstreichen von Zeit mit Menschen tut.
Stimmen zu «Krass»
Jörg Magenau, Süddeutsche Zeitung: «Ein Roman, der in seiner Opulenz, Detailfreude und Schönheitsverfallenheit überwältigt.»
Wolfgang Schneider, Deutschlandfunk: «Das faszinierende Porträt eines unverbesserlichen Machtmenschen. (…) Ein Meisterwerk, das Beschreibungskunst, komplex angelegte Charaktere, sorgfältige Motivarbeit und hintergründige Reflexion vereint – eine phantastische Lesereise, die man sofort buchen sollte.»
Alexander Wasner, SWR2: «Der neue Roman von Martin Mosebach verbreitet etwas von diesem Zauber mitten in einer Zeit, die pandemiebedingt von der Nachrichtenlage hypnotisiert scheint. Dieser Autor kann einfach alles, es ist beeindruckend.»
Jens Jessen, ZEIT Online: «Es ist, kurzum, ein wirklich krasses Buch, eine spannende, durchtriebene, vielleicht doch ganz und gar satanische Geschichte.»
Das Interview
Ihr Roman «Krass» nimmt uns mit auf eine Reise von Neapel über die französische Provinz bis nach Kairo. Auch «Mogador» und «Die 21» (über eine 2015 vom IS ermordete Gruppe koptischer Christen) spielen in Nordafrika, in Marokko und Ägypten. Woher rührt Ihre Faszination von Landschaften und Kulturen des Maghreb und Maschrek?
Ohne daß ich länger darüber nachgedacht habe, lande ich, wenn ich einen Ort zum Schreiben suche, immer wieder im Orient. Ich käme überhaupt nicht auf den Einfall, etwa nach Amerika zu gehen. Ich verlasse gern den Westen, der für mein Gefühl von Jahr zu Jahr gleichförmiger und steriler wird. Ich liebe eine farbige und mir undurchschaubare Umgebung, ich fühle mich wohl in einer gewissen Rückständigkeit, in der die neuesten intellektuellen Moden des Westens noch nicht bekannt sind. Ich finde mich leicht in eine naivere Art zu denken ein, ich bewundere auch, daß in vielen orientalischen Ländern die amerikanische Konservenmusik noch nicht gesiegt hat und daß man sich weiterhin auf traditionelle Weise ernährt. Ich entwickle in solcher Umgebung geradezu Heimatgefühle, was vielleicht eine große Täuschung ist, mir aber bei der Arbeit wunderbar hilft.
Ralph Krass, Lidewine Schoonemakers, Dr. Jüngel: Keiner der Protagonisten des Romans dürfte so recht als Sympathieträger, geschweige denn als Identifikationsfigur taugen. Haben Sie ein Faible für Anti-Helden wie Krass (oder auch Patrick Elff in «Mogador»)?
Ich weiß wohl, daß viele Menschen in der Literatur nach Figuren Ausschau halten, mit denen sie sich identifizieren können. Mir ist diese Identifikation mit einer literarischen Figur, obwohl ich sie kenne, immer etwas peinlich gewesen. Dieses Sich-in-eine-sympathische-Figur-Hineinträumen mag im Augenblick angenehm sein, ist aber später – für mich jedenfalls – mit einem Kater verbunden. In einer fehlerhaften, fragwürdigen Figur unversehens eine Seite zu entdecken, die mit ihr versöhnt, kommt mir reizvoller vor. Außerdem sind die Unsicheren, die Fragilen, die Furchtsamen die besseren Beobachter und eignen sich daher vorzüglich als Berichterstatter, wenn die selbstgewissen Tat- und Willensmenschen meist gar nichts wahrgenommen haben.
Der Spiegel äußerte einmal die Vermutung, im Zentrum Ihrer literarischen Arbeit stehe mehr das Wie, die Lust am «sprachschwelgerischen Fabulieren», als das Was. Ist das nicht ein zweischneidiges Kompliment?
Die meisten Autoren, die episch erzählen, interessieren sich mehr für das Wie als für das Was. Es gibt gar nicht so viele Stoffe, wenn man die Ereignisse von den Zutaten der Zeit und der Individualität entkleidet; in unendlich vielen Erzählungen seit Beginn der Literatur wird von Liebe und Tod gehandelt – aber auf immer neue Weise. Es ist das Wie, das die alten Geschichten so neu werden läßt, als habe man noch nie von ihnen gehört.
Stille, Dunkelheit und Einsamkeit, haben Sie einmal gesagt, seien eine ideale Voraussetzung fürs Schreiben. «Was davor geschah» (2010) ist in einem Kloster im georgischen Hochgebirge entstanden, andere Texte auf Capri, im Wallis oder in Indien. Verdankt sich auch «Krass» einer Atmosphäre quasi klösterlicher Abgeschiedenheit – oder doch dem Frankfurter Westend?
Es gibt ebenso viele Autorentypen wie Autoren. Jane Austen schrieb ihre großen Romane in einem Familienwohnzimmer, in dem sie nie allein war, und während sie ihr Manuskript unter dem Stickrahmen verborgen hielt, andere in einer Gefängniszelle, im Lärm eines Kaffeehauses, in zugigen Dachkammern, an prachtvollen Schreibtischen. Goethe und Dostojewski liebten das Diktieren und gingen dabei auf und ab – für mich unvorstellbar. Meine Schreibtage verbringe ich, wenn etwas dabei herauskommen soll, in Einsamkeit, planlos, zeitlos, manchmal das Essen vergessend, stundenlang, ohne etwas zu denken, auf einem Stuhl sitzend. Die besten Umstände muß jeder selbst für sich entdecken, das kann einem niemand beibringen.