Die Autorin und Spiegel-Online-Kolumnistin Margarete Stokowski schreibt in ihrem Buch über «die kleinen schmutzigen Dinge» und über die großen Machtfragen – und wie beides zusammenhängt. «Untenrum frei» ist weder Autobiografie noch feministisches Manifest. Sieben Kapitel, in sich geschlossene Essays, die zusammen eine Geschichte ergeben: Kindheitsmuster, Schönheit, Arbeit am Körper, Sex (guter und nicht so guter), sexualisierte Gewalt, Feminismus und Anarchismus, Sprache, Sex und Liebe. «Margarete Stokowskis Texte sind bitterböse und lustig, persönlich und polemisch» (Süddeutsche Zeitung)
Das Interview
Ihre Thesen erzählen Sie in Ihrem Buch als sehr persönliche Geschichte. Sie erzählen von sich als der Vierjährigen, die nach einem Sturz kein Worte findet für all das «Untenrum» ihres Körpers; Sie berichten von der Vergewaltigung durch den Leiter der Schach-AG, vom Hungern und Ritzen als Versuch, die Kontrolle über den eigenen Körper zurückzugewinnen. War Ihnen bei der Arbeit am Buch von vornherein klar, dass Sie «Untenrum frei» nur so und nicht anders schreiben können?
Ich hätte auch ein klassischeres Sachbuch daraus machen können, mit weniger persönlichen Geschichten und irgendwie, naja, sachlicher oder akademischer. Aber ich glaube, Begriffe wie «sexuelle Freiheit», «Gleichberechtigung», «Selbstbestimmung» und «Geschlechtergerechtigkeit» klingen für viele Leute sehr abstrakt, und entweder zu hippiemäßig oder zu trocken, sodass sie ein Sachbuch darüber nie in die Hand nehmen würden. Eine Idee von meinem Buch ist aber gerade zu zeigen, wo diese Themen sehr konkret und immer wieder in unserem Alltag präsent sind, auch da, wo wir uns längst dran gewöhnt haben. Ich hätte dabei auch nur die lustigen oder peinlichen Anekdoten erzählen können, ohne die traurigen und hässlichen Geschichten von Gewalt und Schmerzen zu erwähnen. Aber letztere erklären ganz gut, warum ich meinen politischen Standpunkt mit einer Ernsthaftigkeit vertrete, die darüber hinausgeht, Gendersternchen an Wörter zu malen oder über Mansplaining zu schimpfen: Es geht um sehr grundlegende Selbstbestimmung und Schutz der eigenen Grenzen. Und da hilft es, Momente zu untersuchen, in denen offensichtlich etwas schiefgelaufen ist.
Sie zitieren einen starken Satz von Agnes Heller: «Die Frauenbewegung ist die bisher größte Revolution der Menschheit, und im Gegensatz zu allen anderen Revolutionen wird sie eines Tages vollendet sein.» Teilen Sie die Ansicht der ungarischen Philosophin? Sie scheinen da ganz optimistisch zu sein: «Der ganze alte Scheiß ist längst am Einstürzen» …
Ja, aber das wird natürlich alles nicht von allein passieren. Eine der größten Herausforderungen für unser heutiges Nachdenken über feministische Themen ist es, einerseits die bisher erreichte Freiheit zu erkennen und dabei aber die immer noch vorhandenen Probleme nicht zu übersehen: Dass heute viel mehr Frauen wichtige politische Ämter besetzen als vor ein paar Jahrzehnten, heißt überhaupt nicht, dass der Weg dahin für sie nicht steiniger war als für einen Mann, und es heißt auch nicht, dass es damit für alle anderen Frauen einfacher wird. Erfolgreiche Frauen können Vorbotinnen einer grundlegenden Transformation sein, aber sie sind nicht zwingend der Beleg für ihren Abschluss. Zudem ergeben neue Freiheiten oft auch neue Zwänge: Wenn es etwa theoretisch möglich ist, Beruf und Familie zu vereinbaren, fühlen sich diejenigen, die das nicht schaffen, unter Druck.
«Dass alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Sexualität und ihrem Körper dieselben Rechte und Freiheiten haben sollen» – Sie arbeiten mit einem weiten Feminismusbegriff. Sind Ihnen eigentlich Männer suspekt, die sich Feministen nennen?
Nein, um Himmels willen! Dass feministische Kämpfe eindeutig als Frauenbewegung angefangen haben, heißt nicht, dass sie sich so abschließen lassen. Wenn die Gesellschaft sich entwickelt, entwickeln sich parallel ja auch die Bewegungen, die diesen Wandel mitbewirken. Feminismus heißt nicht einfach zu kritisieren, dass Männer irgendwie Frauen unterdrücken oder dass Männer es irgendwie überall leichter hätten als Frauen, das wäre Quatsch, so ist es ja nicht. Es geht auch darum, Männern Freiräume zu eröffnen, die ihnen bisher nicht oder seltener offenstehen. Es geht ja schon rein logisch nicht, dass alle Frauen der Welt sich emanzipieren und frei und unabhängig werden und die Männer daneben stehen bleiben und sagen: «So, so, aha, toll, Mädels, und jetzt macht uns ein Sandwich.» Diese Stulle wird nicht geschmiert werden.
Keine Ahnung, ob Sie als studierte Philosophin Lust haben, den erotischen Erstling des Philosophen Peter Sloterdijk zu lesen, «Das Schelling-Projekt». Wie stehen Sie zu seiner Polemik wider den «digitalen Puritanismus» – Zitat Sloterdijk: «Ein loses Wort, und schon stürzen sich die Reinen auf die Sündhaften. Die müssen sich dann vor der versammelten Gemeinde entschuldigen, ganz so wie in protestantischen Überwachungskommunen üblich.»
Ich habe unglaublich Bock, dieses Buch zu lesen, aber nur, wenn Sloterdijk auch meins liest.
Im Buch findet man das Mittelsternchen (bei Feminist*innen, Politiker*innen etc.), so weit wie «Professx» Lann Hornscheidt wird auch nicht jede(r) gehen wollen. Wie konsequent sind Sie im Alltag – schriftlich wie mündlich – mit «genderkorrekter» Sprache?
Im Alltag verfolge ich ein ausgeklügeltes Konzept aus Radikalität und Faulheit. Es geht bei Sprache ja ziemlich häufig darum, dass es einfach und schnell flutscht, und wenn ich zum Beispiel sage, ich war beim Bäcker, obwohl es in echt eine Bäckerin war, dann ist das nichts, wofür ich mit mir selbst schimpfen würde. Ist wahrscheinlich auch der Bäckerin egal. Aber wo wir schon bei so was sind: Mich stört, dass Leute von politisch «korrekter» Sprache reden, denn ich finde, das trifft es nicht. Diejenigen, die von «korrekter» Sprache reden, haben ja selbst auch oft eine sehr klare Vorstellung davon, was sie für korrekt halten, nämlich meistens: das Alte. Dabei es aber in den meisten Fällen – egal ob beim Gendern oder bei selbstgewählten Bezeichnungen – nicht darum, etwas «richtig» im Gegensatz zu «falsch» zu machen, sondern eher um Respekt – und darum, Leute mitzuerwähnen, die auch da sind, oder Leute so zu benennen, wie sie genannt werden wollen. Das hat auch viel mit Ausprobieren zu tun, und es entstehen immer wieder neue Formen und Wörter, weil Sprache etwas ist, das sich beständig wandelt. Und weil Sprache einerseits etwas Öffentliches ist, aber andererseits auch etwas sehr Intimes, nämlich eine Art, wie wir uns der Welt mitteilen, sind nicht alle Leute auf gleiche Art bereit, Änderungen mitzugehen. Ich finde es falsch, es gar nicht erst zu versuchen, aber ich finde es auch falsch, Leute zu verurteilen, weil sie mal ein Wort benutzen, das andere nicht mehr hören wollen. Dann werden sie es aus Trotz weiter tun, weil sie das Gefühl haben, ihnen wird etwas weggenommen, und so kommt niemand weiter.
Wenn Sie für einen kurzen Moment mit aller gesetzgebenden und exekutiven Macht ausgestattet wären – was würden Sie politisch in Deutschland als Erstes verändern?
Ich würde Winterschlaf für alle einführen. Das würde mich so beliebt machen, dass ich länger an der Macht bleiben könnte und dann in Ruhe den Rest regeln.
Physik, eine schulische Leidenschaft: Haben Sie es je bedauert, nicht Physikerin geworden zu sein? Muss ja nicht jede gleich Bundeskanzlerin werden …
Nö, bedauert hab ich es nicht. Ich bin 30, ich kann beides noch werden.