Im Gespräch

Mareike Fallwickl im Gespräch über «Und alle so still»

Mareike Fallwickl über ihren neuen Roman, warum sie ihn geschrieben hat und darüber, wie Feminismus und Care Arbeit zusammenhängen.

Mareike Fallwickl im Interview

Wie kam es zu der Idee von „Und alle so still“?

Im Jahr 2021 habe ich „Die Wut, die bleibt“ geschrieben und an einer Stelle Lola, das ist eine der Protagonistinnen, einen Satz in den Mund gelegt: stellt euch vor, hat Lola gesagt, die Frauen gehen nicht zur Arbeit, kochen nicht, putzen nicht, lenken keinen Bus, sitzen nicht an der Supermarktkassa und unterrichten keine Klasse, sie erzwingen einen umfassenden Stillstand, und ab diesem Moment war die Romanidee in meinem Kopf. Mich fasziniert die Kraft von Verweigerung, Streik und Solidarität. Wenn es um Care-Arbeit geht und um die Überlastung von Frauen, gibt es eine Formulierung, die stets am Ende aller Diskussionen steht: Ohne Sorgearbeit bricht das System zusammen. Ich wollte, dass dieser Satz der Anfang ist. Was bedeutet das, wenn ein System zusammenbricht? Was geschieht? Wo fängt es an zu bröckeln? Wie schnell geht das? Und was für Konsequenzen hat es?

Aktuell verknüpfen wir Sorgearbeit so untrennbar eng mit Weiblichkeit, dass wir auf der einen Seite männliche Abwesenheit und auf der anderen Seite weibliche Überlastung kreieren.

Das Thema Sorgearbeit spielt in Deinem Roman eine große Rolle. Worin liegt für Dich der Zusammenhang zwischen Feminismus und Care-Arbeit?

Aktuell verknüpfen wir Sorgearbeit so untrennbar eng mit Weiblichkeit, dass wir auf der einen Seite männliche Abwesenheit und auf der anderen Seite weibliche Überlastung kreieren. Sorgearbeit ist nichts, das nur auf individueller Ebene in der Kleinfamilie relevant ist, sie ist der größte und wichtigste Wirtschaftsfaktor. 12 Milliarden Stunden Care-Arbeit erledigen Frauen weltweit jeden einzelnen Tag, in Deutschland wäre diese Arbeit 1 Billion Euro im Jahr wert, in Österreich hätte die Sorgearbeit während der zwei Pandemiejahre 45 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung ausgemacht. Wegen ihrer lückenhaften Erwerbsbiografien und der schlechteren Bezahlung verdienen Frauen im Laufe ihres Lebens etwa 580.000 Euro und Männer 1,5 Millionen, was einen Unterschied macht in einer Welt, die Aufmerksamkeit, Rechte und Gestaltungsmöglichkeiten jenen gibt, die Geld haben. Das Stresslevel von Männern sinkt, wenn sie nachhause kommen, während der Cortisol-Spiegel von Frauen steigt. Frauen arbeiten 98 Stunden pro Woche, und das macht sie auf Dauer krank, sie leiden unter Stress, Schlafmangel, Burn-out, Depressionen, Angststörungen, gleichzeitig werden sie und ihre Schmerzen von der Medizin nicht ernstgenommen, sie müssen im Schnitt vier Jahre länger auf eine Diagnose warten als Männer. Und da finde ich es – was den Roman betrifft – verständlich, dass sie sich auf die Straße legen und sich verweigern.

Und alle so still

Ein großer feministischer Gesellschaftsroman über Widerspruchsgeist und Solidarität 

An einem Sonntag im Juni gerät die Welt aus dem Takt: Frauen liegen auf der Straße. Reglos, in stillem Protest. Hier kreuzen sich die Wege von Elin, Nuri und Ruth. Elin, Anfang zwanzig, eine erfolgreiche Influencerin, der etwas zugestoßen ist, von dem sie nicht weiß, ob es Gewalt war. Nuri, neunzehn Jahre, der die Schule abgebrochen hat und versucht, sich als Fahrradkurier, Bettenschubser und Barkeeper über Wasser zu halten. Ruth, Mitte fünfzig, die als Pflegefachkraft im Krankenhaus arbeitet und deren Pflichtgefühl unerschöpflich scheint.

Es ist der Beginn einer Revolte, bei der Frauen nicht mehr das tun, was sie immer getan haben. Plötzlich steht alles infrage, worauf unser System fußt. Ergreifen Elin, Nuri und Ruth die Chance auf Veränderung?

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Wie hast Du für «Und alle so still» recherchiert?

Eine der drei Figuren, Nuri, arbeitet unter prekären Verhältnissen. Dafür habe ich mit Menschen gesprochen, die als Essenslieferanten und in Fabriken tätig sind. Außerdem gibt es einen Bereich, in dem Sorgearbeit und prekäre Bedingungen zusammenkommen: das Gesundheitswesen. Ich bin nicht an den Roman herangegangen mit dem Vorhaben: Ich will über die Pflege schreiben, das ist vielmehr aus der Figur heraus entstanden. An Ruth wollte ich zeigen, was eine Frau alles leistet, wenn sie sich kümmert bis zur Selbstaufgabe. Was muss geschehen, hab ich mich gefragt, damit so eine Frau in die Knie geht und nicht mehr aufsteht? Also hab ich überlegt, was könnte Ruth machen, und hab ins Internet geschrieben: Ich suche Frauen aus der Pflege, die mir ein paar Fragen beantworten. Viele Frauen haben sich gemeldet, und was sie mir berichtet haben, hat mich so erschüttert, dass klar war: Dieser Roman muss davon erzählen. Ruths Geschichten sind alle wahr.

 

Literatur ist ein wunderbares Mittel, um auszuprobieren, was in der Realität (noch) nicht geschieht.

Warum wählst Du für Deine Themen und Anliegen als Ausdrucksmittel die Literatur?

Ich finde aktuelle, gesellschaftskritische Themen ungemein spannend. Ich schaue mir die Welt an und schreibe über das, was uns zwar allen auffällt, worüber wir aber beharrlich schweigen. Ich will Ungerechtigkeiten sichtbar machen und für jene laut werden, denen wir nicht zuhören. Literatur ist ein wunderbares Mittel, um auszuprobieren, was in der Realität (noch) nicht geschieht. Es gibt in „Und alle so still“ kein einziges abwertendes Wort über Frauen und ihre Körper. Es ist mir wichtig, veraltete misogyne Narrative hinter mir zu lassen und neue Geschichten zu schreiben. Ich liebe es, wenn die Tabus knacken und knirschen, während sie brechen, weil das für Aufmerksamkeit sorgt: Die Lesenden sind dann sehr wach und sehen genauer hin. Die Kernbotschaft dieses Romans ist Zusammenhalt unter Frauen. Denn weibliche Solidarität ist das, was uns retten kann. Wann immer ich das sage, kommt als Antwort: Aber sie existiert nicht, wir haben nicht gelernt, uns zu verschwestern, es wurde uns abtrainiert. Also hab ich mir gedacht: Ich schreibe sie. Wenn wir sehen, wie Schwesternschaft aussehen könnte, wenn wir erst einmal von ihr erzählen, können wir sie vielleicht real werden lassen.

Mareike Fallwickl, 1983 in Hallein bei Salzburg geboren, lebt mit ihrer Familie im Salzburger Land. 2018 erschien Dunkelgrün fast schwarz. 2019 folgte Das Licht ist hier viel heller. Ihr Bestseller Die Wut, die bleibt war ein großer Erfolg bei Presse und Publikum. Die Bühnenfassung hatte im Sommer 2023 Premiere bei den Salzburger Festspielen. Mareike Fallwickl setzt sich für Literaturvermittlung ein, mit Fokus auf weiblichen Erzählstimmen. 

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