CBD-Tropfen, CBD-Mundöl, CBD-Creme – das Angebot an Produkten mit Cannabidiol (CBD) erobert derzeit die Wellness- und Gesundheitsbranche. Gleichzeitig gewinnen THC-haltige Medikamente weltweit zunehmend an Akzeptanz. Die aus der Hanfpflanze gewonnenen Präparate kommen bei einer Vielzahl von Symptomen und Erkrankungen zum Einsatz, etwa bei der Linderung von Schmerzen und Entzündungen oder bei Angstzuständen und Depressionen. Wahre Wundermittel? Dieses Buch liefert einen präzisen Überblick über den aktuellen Stand der Wissenschaft, räumt mit Vorurteilen auf und gibt hilfreiche Ratschläge aus langjähriger Erfahrung. Wir haben mit Dr. Franjo Grotenhermen – «eine Art Zentralinstanz für Fragen zum medizinischen Einsatz von Cannabis» (Die Zeit) – über die erstaunliche Karriere von Hanfprodukten gesprochen.
Das Interview mit Dr. Franjo Grotenhermen
Seit Mitte der 1990er Jahre befassen Sie sich mit dem medizinischen Einsatz von Cannabis. Ich vermute, dass man damals in Deutschland als «Cannabis-Arzt» absoluter Außenseiter im Medizinbetrieb war. Was hat Sie vor 25 Jahren dazu bewogen, sich intensiv mit den Cannabinoiden, den Inhaltsstoffen der Hanfpflanze, zu beschäftigen?
Mitte der 1990er Jahre gab es nur wenige Ärzte und Wissenschaftler aus dem deutschen Sprachraum, die zumindest ein rudimentäres Wissen über die möglichen therapeutischen Einsatzgebiete von Cannabis besaßen. Ich war in den Jahren 1990 und 1991 durch eine schwere gesundheitliche Krise gegangen und gezwungen, mein altes Leben als Arzt im Krankenhaus hinter mir zu lassen und mich neu zu orientieren. Ende 1993 sprach mich ein Freund aus Studienzeiten, Michael Carus, an und fragte mich, ob ich an einem Text zum Missbrauchpotenzial von Faserhanf mitwirken könne. Carus spielte eine wichtige Rolle bei der Wiedereinführung des Nutzhanfanbaus durch Landwirte in Deutschland, der dann schließlich 1996 wieder möglich wurde. Das war mein erster Kontakt mit dem Thema. Dann bekam ich Anfang 1994 das Angebot, an der deutschen Übersetzung des von Harvard-Professor Lester Grinspoon und seinem Coautor Jamas Bakalar im Jahr 1993 in den USA erschienenen Buches «Marijuana – The Forbidden Medicine» (deutsche Ausgabe: «Marihuana – die verbotene Medizin», 1994, Zweitausendeins Verlag) mitzuwirken und zudem ein Kapitel zur Situation in Deutschland beizutragen. Ich habe das Kapitel für eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema und eine detaillierte Übersicht über den damaligen Kenntnisstand genutzt. Ich hatte mir damals mehr als 100 wissenschaftliche Artikel und Bücher aus der Zentralbibliothek für Medizin in Köln besorgt. Ich fand das Thema in jeder Hinsicht spannend, aus ärztlicher, wissenschaftlicher und politischer Sicht, sodass es mich nicht mehr losgelassen hat und bald das zentrale Element meiner beruflichen Arbeit wurde.
Anders als THC führte das nicht psychedelisch wirkende CBD (Cannabidiol) wissenschaftlich wie medizinpraktisch zunächst ein Schattendasein. Das hat sich geändert. Was ist das Faszinierende an diesem Wirkstoff der Hanfpflanze? Was kann CBD, für wen ist es gut – und was sagen die Krankenkassen zur cannabisbasierten Medikation?
Tatsächlich findet sich in meiner Übersicht aus dem Jahr 1994 so gut wie nichts zum Thema CBD. Der Fokus lag, wie bei den meisten anderen Cannabisinteressierten weltweit, auf THC. THC wurde seit Ende der 1960er Jahre hinsichtlich seiner erwünschten und unerwünschten Wirkungen intensiv beforscht, und es gab 1975 eine erste kontrollierte klinische Studie zum therapeutischen Nutzen gegen Übelkeit und Erbrechen bei einer Krebs-Chemotherapie, der im Laufe der folgenden Jahrzehnte mehr als 100 kontrollierte klinische Studien folgten. Einzig eine brasilianische Arbeitsgruppe um die Professoren Isac Karniol und Elisaldo Carlini hatte bereits Anfang der 1970er Jahre festgestellt, dass sich die Wirkung des brasilianischen Cannabis nicht allein durch THC erklären ließ, sondern dass CBD ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. Der große Cannabispionier Carlini verstarb erst kürzlich, am 16. September 2020, im Alter von 90 Jahren. Heute befassen sich weltweit viele Wissenschaftsgruppen auch mit CBD. Bisher wurde unter anderem herausgefunden, dass es innerlich angewandt Ängste lösen kann, den Schlaf beeinflusst, antidepressiv wirkt, Psychosen abschwächt, antiepileptische Eigenschaften besitzt, Bakterien abtötet und Entzündungen hemmt. Äußerlich in einer Creme aufgetragen, kann es Hautentzündungen lindern und die Hautalterung verlangsamen. CBD wird im Allgemeinen von den Krankenkassen nicht erstattet. Anders verhält es sich mit THC-haltigen Cannabis-Medikamenten, die bisher besser erforscht sind. Bei der Anwendung solcher Präparate sind die Krankenkassen unter bestimmten Voraussetzungen seit einer Gesetzesänderung aus dem Jahr 2017 zur Kostenübernahme verpflichtet.
Hanf, Marihuana, Cannabis, Haschisch: In vielen Köpfen herrscht diesbezüglich noch immer ein begriffliches Tohuwabohu. Schwebt über (fast) allem, was mit dem Tausendsassa Hanf zu tun hat, noch immer der Drogenvorbehalt, Stichwort: deutsches Betäubungsmittelgesetz?
Alle diese vier Begriffe sind gut definiert. Cannabis ist der lateinische Name für Hanf, der unterschiedliche Konzentrationen an den Cannabinoiden THC und CBD enthalten kann. Als Marihuana kann man die Blätter und Blüten der weiblichen Hanfpflanze mit hohen THC-Konzentrationen bezeichnen. Haschisch ist eine harzige Masse, die reich an Cannabinoiden ist und insbesondere die weiblichen Blütenstände bedeckt. Komplizierter wird es bei Begriffen, die nicht eindeutig definiert sind, wie beispielsweise Cannabisöl. Es ist richtig, dass der Begriff Cannabis oder Bezeichnungen für daraus hergestellte Produkte immer noch zunächst als Rauschmittel wahrgenommen werden. Wir konnten aber in den vergangenen 20 Jahren erleben, dass sich das öffentliche und auch das individuelle Bild in vielen Köpfen über die Cannabispflanze und deren Inhaltstoffe erheblich verändert und ausdifferenziert hat. Cannabis oder Hanf ist beides, ein potenziell schädliches Rauschmittel und eine nützliche Medizin.
Ihr Buch wendet sich dezidiert auch an Ärztinnen und Ärzte – mit sehr detaillierten Tipps. Wenn es schon seine Zeit brauchte, bis der Duden sich beim grammatischen Geschlecht festlegte (der Cannabis, die Cannabis, das Cannabis?), so braucht offenbar auch die Akzeptanz neuer therapeutischer Ansätze in der breiten Ärzteschaft ihre Zeit. Sind Sie bei Ihren Kolleg*innen endlich den Exotenstatus los?
Ich werde von Kolleginnen und Kollegen unterschiedlich wahrgenommen. Das reicht vom Kämpfer für einen verantwortungslosen Einsatz von Medikamenten auf Cannabisbasis in der Medizin, auch bei Indikationen, die kaum erforscht sind, bis zum respektierten profunden Kenner der Materie, der zu Vorträgen eingeladen und gern auch bei komplizierten Fragestellungen um Rat gefragt wird. Viele Experten aus der Welt können Anekdoten über diese disparate Wahrnehmung und deren Folgen berichten. Sie korreliert mit der unterschiedlichen Wahrnehmung des Nutzens und des Risikos der Verwendung von Cannabis. Das bedeutet, dass ich gelegentlich heftig kritisiert werde und andererseits großes Lob und Anerkennung erfahre. Die Bereitschaft von Ärztinnen und Ärzten, sich diesem Thema zu öffnen, nimmt zu, sodass mit einer weiter zunehmenden Normalisierung zu rechnen ist. Ich erinnere mich gut daran, dass Akupunktur während meiner Studienzeit noch etwas Exotisches darstellte. Das Exotische von gestern kann der Standard von morgen sein.