«Es wird Zeit – Das Tagebuch zum Klagen, Lachen, Klügerwerden» von Bestsellerautorin Ildikó von Kürthy ist eine Reisebegleitung für Frauen in Aufbruchstimmung. Für mutige und ehrliche Frauen, die in der Lebensmitte Bilanz ziehen, die Abschied nehmen müssen von liebgewonnenen Menschen, liebgewordenen Gewohnheiten und vertrauten Vorstellungen. Das Buch schenkt normal-verzweifelten, normal-unperfekten, normal-neurotischen Frauen einen Heimathafen. Es ist ein Ort der Freundschaft und Inspiration, mit wunderschön gestalteten und illustrierten Zitaten, bewegenden, lustigen und zweifelnden Texten der Autorin. Und es ist ein behüteter Raum für die Notizen, Gedanken und Geschichten der Leserinnen. Zum Loslassen und Aufbrechen.
DAS INTERVIEW
Am 20. März 1980, als das Mädchen Ildikó elf war, schrieb sie dies in ihr Tagebuch: «Impi ist 43 Tage tot. Heute war Wandertag, und ich habe mit Georg Schluss gemacht. Er ist mir zu oberflächlich.» Schreiben Sie auch heute, viele Jahre nach Georg, noch Tagebuch? Oder hat das professionelle Bücherschreiben das Tagebuchschreiben abgelöst?
Meine spontane Antwort wäre gewesen: Ich schreibe kein Tagebuch mehr, seit ich Bücher schreibe. Aber je mehr ich über die Frage nachdenke, desto mehr fällt mir auf: Meine spontane Antwort ist falsch. Denn meine Bücher sind im Grunde meine Tagebücher. So viele meiner Fragen, Antworten, Gedanken, Ängste, Zweifel und Überzeugungen fließen in alles ein, was ich beruflich schreibe – und sogar Georg und Impi sind in meinen Romanen wiederaufgetaucht. Meine Bücher sind sehr persönlich und ganz besonders eben auch das jetzt erschienene «Tagebuch zum Klagen, Lachen, Klügerwerden». Da sind ja nicht nur leere Seiten drin, sondern etliche Texte von mir, die ganz genauso auch in meinem Tagebuch stehen würden. So gesehen lautet also meine Antwort: Ich habe nie aufgehört, Tagebuch zu schreiben.
In einem der Texte im Tagebuch geht es um den Unterschied zwischen «unverdienter» und «verdienter Schönheit». Das liest sich so wohltuend und tröstlich, aber … sehen Sie das wirklich so lässig und entspannt?
Nein. Ich ringe täglich darum, die Veränderungen meines Äußeren nicht nur zu akzeptieren, sondern willkommen zu heißen. Man sieht es Menschen an, wenn sie sich wütend gegen die Vergänglichkeit der eigenen Schönheit stemmen. Das macht schmallippig, engstirnig und verbissen. Und das steht niemandem gut.
Wie in jedem Ihrer Bücher gibt es auch in «Es wird Zeit» jede Menge lustiger, ausgelassener, typischer Kürthy-Sätze. Und doch liest sich der Roman anders als alles, was ich von Ihnen kannte. «Dies ist ein Buch der Wehmut. Wehmut kann lächeln. Trauer nicht» (Friedrich Torberg) – das trifft es, oder?
Ja. Das trifft es. Wehmut kann lächeln. Sie steckt voller Dankbarkeit für das, was war, und im besten Fall auch voller Zuversicht für das, was kommt. Darum geht es in «Es wird Zeit» – eine stolze, gerade und wohlwollende Haltung dem Leben gegenüber zu entwickeln, wenn es allmählich in die Jahre kommt. Wir müssen Abschiede bewältigen und Veränderungen zulassen, die wir uns nicht gewünscht haben. Und wir müssen immer wieder neu anfangen und uns gegenseitig dabei unterstützen, helfen, inspirieren und nicht alleinlassen.
Sie haben den Roman Ihrer krebskranken Freundin Jutta gewidmet. Was haben Sie durch sie über sich selbst gelernt?
Nichts. Gar nichts. Und das ist das Bemerkenswerte. Ich habe von Jutta gelernt, dass all das, was ich bis jetzt über mich gelernt habe, nichts aussagt über die Frau, die ich sein werde, wenn das Schicksal mich schlägt. Wer werde ich sein im Angesicht einer Tragödie? Werde ich mutig sein und stark, werde ich verzweifeln, zerbrechen? Ich weiß es nicht. Meine Freundin hat einen Mut und eine Fähigkeit zur Hoffnung entwickelt, die sie selbst nicht für möglich gehalten hätte. Es ist also müßig, sich im Vorfeld zu sorgen und auszumalen, wie man reagieren würde. Es gibt den Menschen noch nicht, der man dann sein wird. Das ist tröstlich.
In Ihrem Podcast «Frauenstimmen» gibt es diesen schönen Satz von Meike Winnemuth: «Das Leben ist eine Ansammlung von Selbstversuchen mit ungewissem Ausgang.» Wie steht es – Stichwort «Neuland» – aktuell mit Ihrer Lust auf solcherart «Selbstversuche»?
Ich bin ein Feigling, und Veränderungen machen mir in erster Linie immer erst mal Angst. Ich habe auch nie verstanden, was an Komfortzonen so schlimm ist, dass man ständig dazu aufgefordert wird, sich aus ihnen herauszubewegen. Sie versprechen ja in erster Linie Komfort und das Gefühl, an einem sicheren, beschützten Ort zu sein. Insofern ist meine Sehnsucht nach Abenteuer stets gering. Ich wage schon ab und an mal ein Experiment – so auch jetzt mit der Gründung der «Es wird Zeit»-Familie. Der Podcast, die Video-Tutorials und die Homepage sind für mich Neuland – und ja, es hat mich schon etwas Mut gekostet, dieses Projekt zu beginnen. Jetzt bin ich sehr gespannt, wie es ankommt, und freue mich darauf, mich wieder mit gutem Gewissen in meine Komfortzone zurückzuziehen.
«Es ist nicht der Mut zur Schwäche, der uns fehlt. Es ist der Mut zur Stärke.» Auch darüber haben Sie im Podcast mit Maria Furtwängler gesprochen, die nicht nur als Tatort-Kommissarin Charlotte Lindholm beeindruckt. «Mut zur Stärke» – was heißt das für Sie?
Ich habe zum Beispiel Mut zur Stärke bewiesen, als ich mir eingestand, dass meine Talente nicht da liegen, wo meine Lehrer auf der Journalistenschule sie gern hätten liegen sehen. Ich bin eine unterhaltende, emotionale Schreiberin und keine nüchtern analysierende Politjournalistin. Man muss den Mut haben, auf seine Stärken und Talente zu setzen und sich nicht ständig auf das zu konzentrieren, was man nicht gut kann. Defizite sind nichts Schlimmes und sollten Defizite bleiben dürfen. Ich habe viele Stunden meines Lebens mit Mathenachhilfe verplempert. Was für eine Energieverschwendung. Erfüllung und ein glückliches Leben warten auf die Menschen, die sich mit dem beschäftigen, worin sie keine Nachhilfe brauchen.
Im Tagebuch erwähnen Sie, während der Corona-Monate verstärkt Romane gelesen zu haben, die Sie schon kannten: als «haltgebendes Ritual» und «Bollwerk gegen die Unbilden der Welt» da draußen. Ist es indiskret zu fragen, was Sie an Tröstlichem, Inspirierendem in dieser Zeit gelesen haben?
Welche Bücher man als tröstlich empfindet, ist natürlich sehr individuell. Für mich sind es alle Krimis von Dorothy L. Sayers. Sie stehen, schon von meiner Mutter geliebt und zerlesen, in meinem Regal und warten auf ihren Einsatz in harten Zeiten. Auch «September» von Rosamunde Pilcher gehört dazu, «Die Tante Jolesch» von Friedrich Torberg, außerdem «Die Söhne der Großen Bärin» von Liselotte Welskopf-Henrich und «Was man von hier aus sehen kann» von Mariana Leky.
Dass Sie nicht nur mit Worten ganz wunderbar umgehen können, sondern auch mit Ihrer Stimme – das wissen alle, die Sie bereits in Ihrer «Es wird Zeit»-Show auf der Bühne erleben durften. Haben Sie sehr unter der coronabedingten Absage bzw. Verschiebung weiterer Auftritte gelitten?
Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen. Wer hätte das gedacht? Trotz meines immensen Lampenfiebers habe ich mich zu einer Art ängstlicher Rampensau entwickelt. Ich will und darf mich nicht beklagen, denn die Verschiebungen der Shows sind für mich nicht existenziell bedrohlich. Aber es fehlt mir, meinen Leserinnen zu begegnen. Denn letztlich erlebe ich bei diesen Shows und nachher beim Signieren immer wieder genau die Art von Gemeinschaftsgefühl und Zusammenhalt, nach der wir uns doch alle sehnen. Dieses Gefühl, nicht allein zu sein, will ich vermitteln. Genau deswegen schreibe ich.