Das Interview
Mögen Sie uns ein bisschen was darüber erzählen, wie Sie auf das Thema gekommen sind? Und warum Sie ausgerechnet über diese vier Frauen schreiben?
Inspiriert haben mich eigentlich die Frauen aus meiner Familie, die zwei Generationen vor mir gelebt haben, meine Großmütter, deren Schwestern, Schwägerinnen. Als kleines Kind habe ich oft bei ihnen gesessen und zugehört, wenn sie von verloren gegangenen Träumen, von Liebe und dem Wegbleiben von Liebe erzählten, wenn sie ihre Erinnerungen aus dem Krieg erzählten, und vermutlich haben sie gedacht, dass das Kind das gar nicht so richtig mitkriegt. Aber das Kind hat sich manches nicht zusammenreimen können, aber die Phantasie hat dann fette Beute gemacht bei diesen Gesprächen von Großmüttern und Großtanten. Und vieles aus deren Leben und aus deren Persönlichkeiten habe ich in diese vier Frauen getan, über die ich geschrieben habe. Henny, Käthe, Lina und Ida haben etwas von ihnen, trotz dieser sehr unterschiedlichen Milieus, aus denen die vier kommen. Also zum Beispiel meine liebste Großtante Sophie hatte einen Mann, der Lud hieß und in meinem Roman heißt Hennys Mann Lud. Und der reale Lud hat seiner Sophie einen Granatring geschenkt, der nicht beim feinen Juwelier gekauft worden war, sondern da konnte er sich gerade den Trödler leisten. Genauso findet es auch im Roman statt. Sie sehen, ich entleihe mir da einiges und aus diesen Leihgaben wuchsen diese vier Heldinnen.
Man merkt aber auch, dass Sie viel recherchiert haben, Sie haben die Henri-Nannen-Schule absolviert, haben als Redakteurin für den Stern gearbeitet. Kam Ihnen diese journalistische Schule bei der Recherche für den Roman zugute?
Oh ja, auf jeden Fall. Ich habe gelernt, wie man Quellen benutzt, dass man vielerlei Quellen benutzen muss, sie miteinander vergleicht und sich nicht mit schnellen Antworten zufrieden geben darf. Und wenn ich einen Ort benenne, dann muss der genauso vorhanden sein, muss der stimmen oder es muss ihn zumindest gegeben haben. Und ich weiß dann, ob zum Beispiel Spielwaren Schrader in der Herderstraße auf der Uhlenhorst in den Zwanzigerjahren ein oder zwei Schaufenster gehabt hat, wenn die Kinder von Henny sich da die Nase platt drücken. Und wie es in Schümanns Austernkeller aussah oder im Uhlenhorster Fährhaus oder welche Häuser nach den Bombennächten überhaupt noch gestanden haben. Also ich bin wirklich rumgegangen und habe geguckt, wenn einem Haus in der Geschichte etwas passiert, ob nicht vielleicht das alte Haus von 1910 noch da stand. Also da bin ich dann schon sehr journalistisch, das muss stimmen.
Über die vier Frauen hinaus gibt es ganz wunderbare Figuren, auch Männerfiguren. Mir ist da der jüdische Arzt Kurt Landmann besonders im Gedächtnis geblieben oder auch Käthes Vater. Hatten Sie für all diese Figuren von Anfang an einen genauen Plan im Kopf oder haben die sich auch während des Schreibens entwickelt?
Also für Kurt Landmann hatte ich überhaupt keinen Plan, der kam in meinen Plänen überhaupt nicht vor. Der ist mir geradezu aus dem Kreissaal gesprungen, in großem Zorn über einen Vorfall, der sich dort ereignet hat und ja, er wurde immer wichtiger für die Geschichte und hatte große Aufgaben zu erfüllen. Käthes Vater war von Anfang an vorgesehen, doch er hat sich ganz anders entwickelt. Ich hatte eigentlich gedacht, er ist so ein Grantler, so ein schlichter Bursche, der vor sich hingrantelt, doch das wollte er nicht mit sich machen lassen. Die Figur bekam im Laufe des Schreibens eine ganz andere Tiefe, auch eine liebenswertere. Er und seine Frau Anna, die er Annsche nennt, kleine Leute aus einem sehr bescheidenen Milieu, wurden dann plötzlich ein berührendes Liebespaar, das einen ganz warmen Glanz bekommen hat und das hat mich dann sehr gefreut, wenn man sie plötzlich so heranholt und sie einem ans Herz wachsen.
Sie leben ja selbst seit 40 Jahren auf der Uhlenhorst. Was fasziniert Sie so sehr an diesem Viertel, dass Sie nie weggezogen sind und jetzt sogar auch noch Ihren Roman dort spielen lassen?
Naja, ich habe irgendwann angefangen, mein Leben dort zu verbringen, das war gar nicht so vorgesehen. Ich war 23 Jahre alt, als wir mit unserem 2CV in die kleine Straße fuhren, um uns eine Altbauwohnung anzusehen, deren Vermieter weder eine Wohngemeinschaft noch einen Hund erlauben wollte. Und wir waren eine WG mit Hund, ein Wunder, dass wir dennoch einziehen durften. Und ja, dann haben wir irgendwann alle Doppeltüren aufgemacht, es wurde eine Familienwohnung. Vater, Mutter, zwei Kinder, immer wieder ein Hund. Die Nachbarschaft war und ist freundschaftlich, die Wohnung und die Umgebung gefielen uns, es gab einfach keinen Grund wegzuziehen. Weil so vieles in unserem Erwachsenenleben dort geschehen ist und wir so viele Menschen auch auf der Uhlenhorst begleitet haben, die gekommen und gegangen sind, und das lässt sich nie mehr wieder so herstellen.
«Töchter einer neuen Zeit» ist der Auftakt einer Trilogie, die das gesamte 20. Jahrhundert umfasst. Band 2 «Zeiten des Aufbruchs» wird in der Nachkriegszeit spielen, in den Fünfzigerjahren. Ich weiß, dass Sie sich auf das Erzählen dieser Zeit auch aufgrund Ihrer eigenen Familiengeschichte ganz besonders freuen.
Da war ich ja schon dabei, in den Fünfzigerjahren, da habe ich schon Erinnerungen dran und die haben mich auch immer fasziniert. Obwohl vieles in Trümmern lag und ich mich an diese Bilder von halben Häusern mit Resten von Küchenkacheln erinnern kann, hat irgendwie diese Zeit für mich so ein dauerhaftes Frühlingslicht gehabt. Und der Beruf meines Vaters, er war Komponist und schrieb vor allem Schlager, führte mich dann auch in besondere Milieus. Ich war noch nicht in der Schule, da durfte ich schon in die Casinos und Kinos der britischen Rheinarmee, denn dort fanden damals oft Schallplattenaufnahmen statt und da durfte ich ihn begleiten. Und das war die Zeit der Schlagerfestivals in Baden-Baden, in Sanremo, die Zeit der Cocktails, der Cocktailkleider, an den Bars wurden Gin Fizz getrunken und man träumte vom Lago Maggiore. Das waren irgendwie die Zeiten des Aufbruchs, die ganz besonders pastellfarben schienen, obwohl vielleicht andere Menschen andere Erinnerungen daran haben, aber bei mir sind es auch die glückseligen Kindererinnerungen. Ja, und später kamen dann die Erzählungen meines Schwiegervaters dazu, der in den Fünfzigerjahren Filme gedreht hatte, also mit Lilo Pulver, Romy Schneider, Ruth Leuwerik. Das waren Glanzpunkte in jenen Jahren. Und diese Erinnerungen werde ich zusammen schmeißen.
Mögen Sie uns ein bisschen neugierig machen, wie es mit Henny und den anderen weitergeht?
Es wird noch vieles passieren in diesem Jahrhundert und in diesen Jahren mit meinen vier Heldinnen und sie werden Liebe finden und sie kommt ihnen abhanden und ja, Hochzeiten, Geburten, Todesfälle gibt es und Träume und Träumchen werden zerschlagen, das ganz normale Leben eben. Aber in diesen Zeiten, die wirklich so ziemlich die schrecklichsten sind, die einem geboten werden konnten in den ersten fünfzig Jahren des eigenen Lebens, da wird auch das kleine Glück gesucht und gefunden und da gibt es schöne Liebesgeschichten, Figuren, die einen ganz besonderen Flair reinbringen. Es wird noch sehr viel geschehen und ja, privates Glück in schrecklichen Zeiten.