Im Gespräch

Was ein gelebtes Leben ausmacht

Eine Lebensreise zwischen Hamburg, Köln und San Remo ... Im Interview: Carmen Korn

Carmen Korn
© Charlotte Schreiber

Ein neues Jahrzehnt bricht an für die befreundeten Familien aus Köln, Hamburg und San Remo. Die 1960er Jahre versprechen Aufbruch, Wohlstand, Lebensfreude. Auch die Kölner Galerie von Gerda und Heinrich floriert; Tochter Ursula erwartet ihr erstes Kind. Sie ist Elisabeth und Kurt, den Hamburger Freunden ihrer Eltern, dankbar, dass sie ihr und Joachim ein Zuhause geben. Doch das Zusammenleben unter einem Dach ist nicht einfach: Während sich Elisabeth am Vergangenen festklammert, nutzt Kurt nutzt immer öfter die Gelegenheit für kleine Fluchten. In San Remo sorgt sich Gianni um Pips, den früheren Pianisten seines Jazzklubs, der mit einem dunklen Kapitel seiner Vergangenheit konfrontiert wurde, das sein Leben dramatisch verändert hat ... Erfolgsautorin Carmen Korn lässt in ihrer Drei-Städte-Saga einmal mehr Vergangenheit lebendig werden.

DAS INTERVIEW

Die ältere Generation der Protagonist:innen Ihres neuen Romans, die Borgfeldts (Hamburg), Aldenhovens (Köln) und Cannas (San Remo), sind nicht mehr die Jüngsten. Auf den 570 Seiten ist der Abschiedsblues deutlich spürbar, Krankheit und Tod fordern ihren Tribut. Wie wirkt sich diese melancholische Grundstimmung auf den Prozess des Schreibens aus?
Ich befinde mich ja genau in der Phase des Lebens, die einige der Figuren in meinem Buch erreichen. Da fließt natürlich vieles von den eigenen Gedanken ein. Wenn Gerda in Köln darüber nachdenkt, ob das Ärgerlichste am Alter ist, dass Tätigkeiten schwerfallen, die ihr früher leicht gefallen sind, oder aber dass einem die Zeit davonläuft – dann ist mir das alles andere als fremd. Auch ich denke gelegentlich, wie viele Sommer, wie viele Weihnachten es noch geben wird. Dennoch ist für mich der «Abschiedsblues» im Buch nicht der tragende Soundtrack. Es ist ein Plädoyer fürs Leben, so empfinde ich das. Und so sehen es die meisten der Figuren auch. Übrigens: Viel gestorben wird gar nicht in Zwischen heute und morgen, da hält der dritte Band der Trilogie noch immer den Spitzenplatz.

Ende der Sechzigerjahre und in den frühen Siebzigern trafen sich diverse Protestmilieus auf den Straßen der Republik, Notstandsgesetze, Friedensbewegung und Anti-AKW-Kampf waren die Konfliktthemen dieser Jahre. Wenn Sie zurückblicken – wie waren Sie damals: eher aufrührerisch oder angepasst?
Ich schwankte zwischen bravem Kind und der Lust auf Ungehorsam. Das ist noch immer so.

Ob Berliner Mauerbau, Sturmflut 1962, Lengede-Unglück, Mord an John F. Kennedy und Martin Luther King, Prager Frühling, Dutschke, Che Guevara ... Es steckt ungeheuer viel Politik und Zeitgeschichte in diesem Roman. Wie sehr mögen Sie als gelernte Journalistin diesen Teil des Schreibens, die Recherche?
Enorm gerne. Und dabei komme ich vom Hölzchen aufs Stöckchen.

 Ich kenne nur wenige Familien, in denen es einfach nur glatt läuft.

Was fesselt Sie so sehr an Familienkonstellationen? Hat das mit einer Heile-Welt-Sehnsucht zu tun, dem Wunsch, alles möge sich mit der Zeit doch irgendwie schicksalhaft fügen?
Familie ist für mich ein wichtiger Ort, keine Frage. Aber vielleicht ist es auch der Wunsch nach Verstehen und Bewältigung, dass ich mich in meinen Romanen immer wieder mit Familienkonstellationen beschäftige. Ich kenne nur wenige Familien, in denen es einfach nur glatt läuft. Weder mein Mann noch ich kommen aus einer. Und was die sog. heile Welt angeht: Gegen die habe ich gar nichts, wenn sie nicht mit Verbiegen oder gar Heuchelei einhergeht.

Ist es auch diese Genauigkeit in den historischen und atmosphärischen Details, die Ihre Leser:innen so fasziniert – die Namen alteingesessener Hamburger und Kölner Geschäfte, die «viereckigen Tüten, in denen neuerdings die Milch abgepackt war», der Opel Kadett mit Weißwandreifen, Zigarrenanzünder, Haken fürs Jackett und extra großem Handschuhfach usw.?
Das kann sein. Ich hebe den Deckel eines Kartons, in dem die Requisiten und Accessoires des Zeitgeistes von damals aufbewahrt werden, das wärmt nicht nur mein Herz. Diese Begegnungen mit der Vergangenheit sind ja eher unbeschwert, sie lassen einen lächeln, vielleicht den Kopf schütteln über die Moden und Gebräuche jener Jahre. Mir macht es Freude, die Kölner Musikalienhandlung von Gustav Gerdes wieder aufleben zu lassen. Oder die Hamburger Feinkostläden Michelsen und Kruizenga. Und auch das Restaurant Rendez-Vous und das Modegeschäft Cremieux in San Remo hat es gegeben.

Sie haben ein Faible für starke Männerfiguren. Vor allem Pips scheint Ihnen am Herzen zu liegen – der Pianist, der eine so brutale wie folgenschwere Geschichte mit durch sein Leben schleppt …
Klavier spielen: das hilft, um meinem Herzen nahe zu kommen. Aber auch Brüche ziehen mich an. Die hat Pips in hohem Maße, die hatte auch Alex in der Trilogie (und dessen Vorbild im wirklichen Leben). Aber nun will ich eine Bresche für die Männer schlagen, die nicht Klavier spielen. Die haben andere Talente und Qualitäten – mein Mann allen voran ...

Zwischen heute und morgen

In der Fortsetzung ihres Bestsellers «Und die Welt war jung» lässt Erfolgsautorin Carmen Korn einmal mehr Vergangenheit lebendig werden.  Jugendrevolte und Swinging Sixties – eine bewegende Familiengeschichte in bewegten Zeiten. 

Ein neues Jahrzehnt bricht an für die Freundesfamilie aus Köln, Hamburg und San Remo. Die 1960er Jahre versprechen Aufbruch, Wohlstand, Lebensfreude. Auch die Kölner Galerie von Gerda und Heinrich floriert. Tochter Ursula in Hamburg erwartet ihr erstes Kind. Sie ist Elisabeth und Kurt, den lebenslangen Freunden ihrer Eltern, dankbar, dass sie ihr und Joachim ein Zuhause geben. Doch das Zusammenleben unter einem Dach ist nicht einfach. Während die nächste Generation nach ihrem Platz sucht im Heute, hält sich Elisabeth lieber am Vergangenen fest, und Kurt nutzt immer öfter die Gelegenheit für kleine Fluchten. Auch in San Remo bringt das neue Jahrzehnt Veränderungen und Abschiede. Vor allem sorgt sich Gianni um Freund Pips, den früheren Pianisten seines Jazzklubs, der mit einem dunklen Kapitel seiner Vergangenheit konfrontiert wurde, das sein Leben weit in die Zukunft hinein verändert hat.

Carmen Korn erzählt von den Menschen, von den kleinen Momenten im großen Weltgeschehen, von dem, was ein gelebtes Leben ausmacht. Mit ihrer zweibändigen Drei-Städte-Saga schließt sie an den Erfolg ihrer Jahrhundert-Trilogie über vier Frauen aus Hamburg-Uhlenhorst an und eroberte einmal mehr die Bestsellerlisten. 

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In «Zwischen gestern und heute» gibt es eine ungewöhnliche Familienkonstellation: Ursel + Joachim + Pips + Henrike, zwei Männer, eine Frau, ein Kind. Und das in den trotz «sexueller Revolution» so bürgerlichen Sechzigern! Haben Sie da ein Fensterchen in eine moralisch entspanntere, moderne Zeit geöffnet?
Es ist eine Konstellation, die mir sehr am Herzen liegt. In unseren Zeiten, in denen vieles zerbricht, wären solche Wege oft hilfreich. Wir sind Familie sollte neu gedacht werden. Eine Hüterin, ein Hüter mehr scheint mir eine gute Lösung zu sein. Ich bin froh, dass ich für Ursel, Joachim, Henrike und Pips diesen Weg gefunden habe.

Verblüffend fand ich, dass Simon & Garfunkel im Buch auftauchen, sogar Blood, Sweat & Tears. Dagegen werden die Beatles nur einmal erwähnt («die Jungs aus Liverpool, die beim Bruno Koschmider im Kaiserkeller auftreten»), die Rolling Stones, Kinks etc. gar nicht. Hatten Sie es nicht so mit den «Pilzköpfen»?
Ich? Von wegen! Im zweiten und dritten Teil der Trilogie und in vielen anderen meiner Bücher haben die Beatles ihren Auftritt. In den frühen Sechziger Jahren bin ich mit meinem tragbaren Telefunken-Radio ins Wäldchen gegangen, das unser Spielplatz war. Hab im Baumhaus gesessen und «Love Me Do» gehört. Die Liebe zu den Beatles ging weit bis in die Achtzigerjahre hinein. Gerade Paul McCartney war und ist in seinen Texten ja ein wunderbarer Geschichtenerzähler. Zu den Rolling Stones habe ich allerdings nie gefunden.

Ihre Romane werden hunderttausendfach gelesen. Wie steht es mit der Resonanz von Leserinnen und Lesern auf Ihre Bücher – Reaktionen, die Sie freuen, berühren, vielleicht auch irritieren?
Die berührenden Reaktionen überwiegen. Ich habe wunderbare Briefe bekommen, einige der Briefeschreiber stehen mir noch immer nah, bis hin zu einer Freundschaft, die entstanden ist. Die irritierenden sind eher die Ausnahme und kamen vor allem im ersten Teil der Trilogie von Menschen, die meine Sicht auf Hitler und die Nazis nicht teilten.

Einige Stimmen im großen Chor werden mir das Lied noch lange singen.

Bei Alster-Spaziergängen soll es vorkommen, dass Sie an einem Haus vorbeikommen und sagen: «Schau mal, da oben unter dem Dach, da hat ... gewohnt»? Wie schwer fällt es Ihnen, liebgewordene Figuren, über Jahre Begleiter:innen Ihres Alltags, gehen zu lassen?
Ich lasse sie nicht gehen. Einige Stimmen im großen Chor werden mir das Lied noch lange singen. Wann immer wir durch die Körnerstraße in Hamburg fahren, denke ich an Theo und Henny. Und das Haus in der Blumenstraße, in dem die Borgfeldts seit 1927 leben, habe ich gut gekannt, bevor es ein bekannter Fernsehmoderator gekauft hat.

Sie wohnen seit Jahrzehnten im selben Haus auf der Uhlenhorst: erst als WG, später als Familie mit Ihren Kindern und nun zusammen mit Ihrem Mann Peter. «Sie können gar nicht ohne Hamburg», stellte Hubertus Meyer-Burckhardt damals bei Ihrem Besuch in der NDR-Talkshow fest. Ist das wirklich so? Könnten Köln oder San Remo, Ihre beiden anderen «Herzensstädte», heute eine Alternative zu Hamburg als Lebensort sein?
Vielleicht noch Köln. Doch ich habe nicht vor, Hamburg zu verlassen. Hier ist das meiste von dem geschehen, was wichtig in meinem Leben war. Ich war zweiundzwanzig, als ich nach Hamburg kam. Hier sind starke Wurzeln gewachsen.

Drei Bände «Jahrhundert-Trilogie», zwei Bände «Drei-Städte-Saga» … Könnte das am Ende auf ein 3-2-1 hinauslaufen? Der nächste Roman ein Stand-alone, wie es im Verlagsdeutsch heißt?
Genau. Ein Stand-alone, der in den Achtziger Jahren spielen soll. Aber erst einmal eine große Pause. Das waren sehr schöne Jahre, und ich bin glücklich, dass mich der Erfolg mit Sixty-Four erreicht hat. Doch es waren auch anstrengende Jahre. Da möchte ich mich der Frage meines alten Stern-Kollegen Günter Dahl anschließen: Heute schon gelebt?

Carmen Korn

Carmen Korn

Carmen Korn wurde 1952 in Düsseldorf als Tochter des Komponisten Heinz Korn geboren. Nach ihrer Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule arbeitete sie als Redakteurin u.a. für den «Stern». Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

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