Berlin im Mai 1945 – Stunde Null. Die Stadt liegt in Trümmern, auch das Kaufhaus Thalheim am Ku'damm ist zerstört. Fassungslos stehen die Schwestern Rike, Silvie und Florentine vor der Ruine des einst so stolzen Familienunternehmens. Doch Rike, die Älteste, hat einen Traum: Sie will das Kaufhaus wieder aufbauen und mit raffinierten Stoffen und neuen Modekreationen Farbe in das triste Nachkriegsberlin bringen. Nach der Währungsreform scheint es tatsächlich aufwärts zu gehen, die Menschen hungern nach Konsum und schönen Dingen. Doch die neuen Zeiten bringen neue Probleme – die Schwestern müssen erkennen, dass die Vergangenheit noch immer lebendig ist …
Das Interview mit Brigitte Riebe
Als promovierte Historikerin scheinen Sie sich an ziemlich vielen Ecken und Kanten der Weltgeschichte gut auszukennen. Sie haben über das Alte Ägypten geschrieben, über Hexenverfolgung, Reconquista, den Schwarzen Tod im Mittelalter, auch über große Frauengestalten wie Roswitha von Gandersheim und Hildegard von Bingen. Wie reizvoll war es für Sie, mit Ihrer packenden 50er-Jahre-Trilogie um die drei Thalheim-Schwestern und das Kaufhaus am Ku'damm mitten hinein in eine dramatische Phase deutscher Zeitgeschichte zu springen?
Mehr als reizvoll, als Historikerin und Zeitgenossin, ich bin ja selbst ein Kind der 50er. Mich hat die Kriegs- und Nachkriegszeit schon während des Studiums immer am meisten interessiert. Meine Mutter stammt aus Nordböhmen und hat Flucht und Vertreibung am eigenen Leib erlebt, also hat «Geschichte» auch immer schon einen wichtigen Part in unserer Familie innegehabt. Mit zwölf habe ich realisiert, dass der Krieg, von dem sie alle immer redeten, erst acht Jahre vor meiner Geburt zu Ende war: Ich glaube im Nachhinein, in diesem Moment ist der Wunsch in mir erwacht, Historikerin zu werden … Es gibt unendlich viele Romane, die in der Nazizeit spielen, und gerade erscheinen einige, die ab 1948 angesiedelt sind. Doch diese Zwischenzeit, die Jahre ab 1945, die ich im ersten Band der Trilogie aufrolle, ist für viele ein schwarzer Fleck. Das könnte nach der Lektüre meines Romans nun anders werden – spannend!
KaDeWe und Wertheim, Hertie, Schocken, Karstadt: Die 1920er-Jahre waren die goldene Ära der Kathedralen des Kaufrauschs, Stein gewordene Manifestationen des Prinzips «Alles unter einem Dach». Einige der bedeutenden deutschen Warenhäuser weisen in ihrer Historie einen dunklen Fleck auf, Stichwort: Zwangsarisierung. Was hat Sie an dem Thema gereizt?
Die wirtschaftliche Ausgrenzung der zum Teil sehr erfolgreichen jüdischen Geschäftsleute aufgrund ihrer «Abstammung» ist für uns Heutige kaum vorstellbar. Und doch hat sie stattgefunden – mit Macht und Brutalität. Diesen Menschen wurde alles genommen, sogar wenn «Arier» bereit waren, sich nicht an ihnen zu bereichern, sondern einen angemessenen Preis für die Produkte oder das Geschäft zu bezahlen: Die Gelder kamen auf Sperrkonten, zu denen die jüdischen Besitzer keinen Zugang hatten. Ein perfider Vorgang, der natürlich auch die Beziehung zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Partnern oder Freunden zutiefst erschüttert hat. Mir war wichtig, dies anzusprechen – ich fürchte, das alles ist bei weitem nicht jedem bekannt.
Sie sind gebürtige Münchnerin, leben auch heute dort. Haben Sie nie daran gedacht, die Trilogie in der bayerischen Landeshauptstadt spielen zu lassen? Auch dort hat es damals glamouröse Kaufhäuser gegeben …
Hat es, aber München war nicht die (ehemalige) Hauptstadt, und München war nicht in vier Zonen unterteilt. Nirgendwo sind die gesellschaftlichen Gegensätze so hart aufeinandergeprallt wie in Berlin – über Jahrzehnte. Das bietet Konflikte und reichlich Erzählstoff. Ich erzähle ja nicht nur die Geschichte der Kaufhaus-Thalheims, sondern in der Figur von Carl, Friedrich Thalheims jüngerem Bruder – einem meiner persönlichen Lieblinge –, auch von einem Juristen, der aus Gewissensgründen gleich zweimal den Dienst quittierte: bei den Nazis und später bei der sich verfestigenden jungen DDR.
Zu den beeindruckendsten Passagen von «Jahre des Aufbaus» zählt – neben den Episoden über den fürchterlichen Winter 1946/47 mit Hunger und bitterer Kälte («der weiße Tod») – die Beschreibung der Geschehnisse rund um Trizone und SMAD, Schwarzmarkt und Währungsreform, Berlin-Blockade und Luftbrücke («Rosinenbomber») – wäre ich Lehrer, ich würde diesen Teil der Trilogie als Unterrichtsmaterial verwenden. Wie intensiv haben Sie dafür recherchieren müssen?
Sehr intensiv – und danke für das schöne Kompliment.
Versetzen wir uns einmal in die Jahre nach dem Kriegsende – und stellen uns eine einsame Skihütte vor: Der Strom ist ausgefallen, das Holz für den Ofen zu nass zum Anzünden, und es gibt nur eine Scheibe verschimmeltes Brot. Dann ist man ziemlich schnell da angelangt, wo die Menschen nach sechs Kriegsjahren und in diesen lausig kalten Nachkriegswintern über Wochen und Monate waren. Ich habe mit vielen Zeitzeugen gesprochen, die das selbst erlebt haben. Meine Großmutter wäre in der SBZ 1946/47 fast gestorben, weil sie Tuberkulose hatte und von dem bisschen Essen noch das Meiste an ihre immer hungrigen Teenietöchter abgegeben hat. Das war in der Nähe von Dresden, aber in Berlin wurde auch nicht anders gehungert.
Neben all den Gesprächen, die ich geführt habe, wartete natürlich Literatur ohne Ende auf mich. Sie müssten mal mein Arbeitszimmer sehen: Regale voller Berlin-Literatur …
Was Sie beschreiben, ist stimmig bis ins Detail (z.B. die «Kochkisten»). Aber wie steht es um jene Trümmer-Modenschau im zerbombten Berlin – hat es die wirklich gegeben?
Die Trümmer-Modenschau habe ich mir ausgedacht. Ich wünschte, die hätte es genauso gegeben! Seit Jahren gab es ja in Deutschland während des Krieges so gut wie nichts mehr auf Kleidermarken, bereits ab 1941, aber erst recht nach der Niederlage in Stalingrad. Alles wurde für die Wehrmacht konfisziert. Keine Stoffe, keine Nähseiden, keine Knöpfe, keine Schuhe! Alles gewendet, gestopft, tausendmal repariert – wie satt mussten die Frauen das gehabt haben!
Miri, für mich die heimliche vierte Thalheim-Schwester, die als jüdisches «U-Boot» im Untergrund unter unsäglich gefährlichen Umständen überlebt hatte – sie ist es, die mehr als alle anderen erkennt, wie viel Hoffnung in dieser Idee steckt. (Eine Trümmer-Modenschau wäre übrigens als Szene hinreißend zu verfilmen …)
Die immense Liste Ihrer Publikationen zeigt, dass Ihre Interessen als Autorin weit über das historische Genre hinausgehen. Sie haben einen Schwung flotter Frauenromane veröffentlicht, aber auch zwei Krimireihen (um die Anwältin Sina Teufel und die Rechtsmedizinerin Dr. Sofie Rosenhuth, die «Kalte Sofie»). Wie kriegen Sie all Ihre Interessen und Schreibleidenschaften unter einen Hut?
Ich bin ein Mensch und eine Autorin, die Abwechslung gernhat. Und ich liebe Herausforderungen. Die «flotten Frauenromane» sind ja schon ein Weilchen her. Den Spagat zwischen Krimi und historischem Roman empfinde ich als äußerst bereichernd: Beim Krimi lernt man die guten Cliffs und das Schreiben auf eine Auflösung zu. Und bei den «Histos» die Recherche und Tiefe, was wiederum auch Krimis guttut. Also: gegenseitige Bereicherung!
Gerade ist Teil 1 der «Schwestern vom Ku'damm» erschienen. Ohne etwas anzudeuten oder vorwegzunehmen: Wissen Sie selbst eigentlich schon genau, wie es mit den emanzipierten Thalheim-Schwestern Rike, Silvie und Flori weitergehen wird – und wie das Ganze in Band 3 endet?
Natürlich weiß ich, wie das mit den Thalheim-Schwestern bis Ende Band 3 weitergeht. Aber das wird hier natürlich noch nicht verraten!
Gibt es eigentlich ein literarisches Traumprojekt, das Ihnen schon lange durch den Kopf geht – und das Sie unbedingt «irgendwann» anpacken möchten?
Ja – unbedingt. Als Studentin habe ich in den Semesterferien in der Möhlstraße im feinen Münchner Viertel Altbogenhausen Post ausgetragen: Villen, Gärten, alles ruhig und nobel – heute. In den Jahren 1945 bis 1948 (in gewissem Ausmaß sogar bis 1950) tobte hier der heißteste Schwarzmarkt überhaupt: 100 Geschäfte, Polizeirazzien, nichts, was es hier nicht gab. Darunter eine Handvoll junger Menschen, die den Krieg gerade überstanden hatten – und die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Was für eine Steilvorlage für einen spannenden Roman!