Greta Thunberg ist nicht allein – eine globale Bewegung ist entstanden. Junge Rebellinnen setzen sich für sauberes Wasser ein, wie die Inderin Sahithi Pingali, bekämpfen die Waffenlobby, wie die Amerikanerin Emma González, oder machen gegen die Kinderehe mobil, wie Natasha Mwansa aus Sambia. Für diese Ziele sprechen sie vor der UN-Vollversammlung in New York, auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, auf Klimakonferenzen oder beim «March for Our Lives» in Washington. Ihr Einfluss ist immens, eine einzige Rede kann Weltkonzerne erschüttern. In ihrem Buch porträtiert Bettina Weiguny diese rebellische junge Generation, fragt, was in ihr gärt, was sie vorhat, wie sie vorgeht – und warum vor allem junge Frauen die Proteste anführen.
Das Interview mit Autorin Bettina Weiguny
In Ihrem Buch porträtieren Sie, neben der Stunde-Null-Aktivistin Greta Thunberg, junge Klima- und Sozialrebellinnen, deren Namen und Projekte hierzulande die wenigsten kennen dürften. Was war für Sie der Anstoß, dieses Buch zu schreiben?
Die Idee zu dem Buch kam mir vor einem Jahr in Davos beim Weltwirtschaftsforum. Ich fahre seit Jahren dort hin, früher war es eine Veranstaltung vornehmlich für alte, reiche und mächtige Männer, dann erstürmten Frauen die Podien – und letztes Jahr plötzlich mischte dort ein Dutzend Jugendlicher die Wirtschaftselite auf. Die jüngste war gerade mal 13 Jahre alt und ziemlich beeindruckend. Sehr erfrischend war vor allem, dass es nicht nur Greta Thunberg und «Fridays for Future» gibt, sondern ganz viele «Gretas» überall auf der Welt. Manche von ihnen fangen schon mit elf Jahren an, für ein Thema zu «brennen», ob das nun Umwelt oder Klimawandel ist, der Kampf gegen Plastikmüll, Kinderehe, Waffenlobby oder Diskriminierung. Ich war überrascht von der Power, die in diesen jungen Persönlichkeiten steckt, von ihrem souveränen Auftreten und von dem, was sie schon bewirkt haben. Alle auf dem Forum in Davos haben gespürt, dass sich hier etwas Neues Bahn bricht. Was das ist, wollte ich in dem Buch beschreiben.
Jahrelang wurde die Litanei von der «unpolitischen Jugend» heruntergebetet – und auf einmal gehen Millionen junger Menschen in aller Welt auf die Straßen, um die etablierte Politik und uns als Gesellschaft daran zu erinnern: Es ist unsere Zukunft, die auf dem Spiel steht, unsere Zukunft, die ihr gefährdet. Nur an dem kleinen Mädchen vor dem schwedischen Reichstag kann das ja nicht liegen. Was ist passiert in den vergangenen Jahren, was ist heute anders als bei früheren Jugendbewegungen?
Bis vor kurzem galt Politik als uncool in der Jugend, die Inszenierung des eigenen Selfies war im Zweifel wichtiger als das Nachdenken über das Allgemeinwohl. Aber die Generation Z, also Mädchen und Jungs zwischen 10 und 20 Jahren, ist politischer als ihre Vorgänger. Das liegt vermutlich an der spürbaren Bedrohung durch den Klimawandel. Klima ist der «Trigger», der diese Generation aufweckt. Viele junge Menschen erleben in ihrer Heimat hautnah, wie Regionen überschwemmt werden und Landstriche verdorren. Und jeder hat heute ein Handy und Internet – das verbindet sie mit der Welt, egal ob sie am Amazonas, am Ganges oder auf Bali leben. Manche merken früh, dass die sozialen Medien ihnen eine öffentliche Sichtbarkeit geben, die die Generationen vor ihnen nie hatten. Ihre Vorgänger haben es selten über die lokale Bühne hinausgeschafft, egal, wofür und mit welchem Einsatz sie gekämpft haben. Heute steht hinter einem Tweet eine ganze Generation. Sie können Konzerne wie Siemens zum Wanken bringen und Politiker zum Umdenken bewegen. Das verleiht der Jugend Macht. Und stärkt ihren Mut.
Nur ein Beispiel: Naomi Wadler, in Äthiopien geboren, in den USA aufgewachsen. Im Alter von 11 Jahren steht sie vor 800.000 Menschen, erhebt ihre Stimme gegen die US-Waffenlobby und die Diskriminierung afroamerikanischer Mädchen. Was macht ein Kind wie Naomi zum «Changemaker» – oder die Schwestern Isabel und Melati Wijsen, die auf Bali die beeindruckende Initiative «Bye Bye Plastic Bags» auf den Weg gebracht haben?
Nennen Sie es Entschlossenheit, Mut, Chuzpe, wie Sie wollen. Die Rebellinnen sind stark, zeigen Haltung und besitzen die Fähigkeit, andere mitzureißen. Sie wollen nichts erdulden, sich nicht wegducken oder die Umstände hinnehmen, wie sie sind, wenn sie besser sein könnten. Wenn es noch etwas gibt, was ihnen gemein ist, dann ein starkes Elternhaus, das hinter ihnen steht und ihnen das Gefühl vermittelt: «Geh raus, kämpf für deine Ideen und Träume, lass sie dir nicht nehmen.»
Die Bali-Schwestern hat auch die Schule in ihrem Kampf gegen Plastik bestärkt. Sie kamen überhaupt erst durch ein Referat über Helden darauf, selbst zu handeln. Über Gandhi hatten sie gelesen und sich gefragt: Was wäre uns so wichtig, dass wir dafür hungern würden, wie er es getan hat? Bei ihnen war es das Plastik, das auf ganz Bali die Flüsse, Felder und Strände verschandelt. Sie waren zehn und zwölf, als sie anfingen, die Strände zu säubern und Unterschriften am Flughafen zu sammeln. Erst mit ein paar Freunden, dann mit Hunderten von Kindern. Und als sie gesehen haben, dass sich dadurch nichts ändert, haben sie mit 14 und 16 beschlossen, es Gandhi gleichzutun und so lange zu hungern, bis der Regierungschef mit ihnen spricht. Das hat er zum Glück nach zwei, drei Tagen gemacht und ihnen das Versprechen gegeben, Einwegplastik auf der Urlaubsinsel zu verbieten. Die Regierung hat ihr Versprechen gehalten. Seit Sommer 2019 sind Einwegplastik, Tüten, Strohhalme, Geschirr und Styropor verboten.
Es sind durch die Bank Mädchen und junge Frauen , die uns in Ihrem Buch begegnen: selbstbewusst, mutig, wissbegierig, einfallsreich, zäh, eloquent. Mit einem klaren Bewusstsein von der Mobilisierungskraft der sozialen Medien – und bereit, Verantwortung zu übernehmen. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass praktisch alle prägenden Figuren dieser Initiativen weiblich sind?
Es ist kein Zufall, dass vor allem junge Frauen die Proteste anführen. Das hat viel mit dem Ursprung der Proteste zu tun – dem Klimawandel. Umwelt ist ein klassisch weiblich besetztes Thema, auch weil Frauen in vielen Regionen der Welt von den Folgen besonders stark betroffen sind. Und es geht auf ein neues Rollenverständnis zurück. Junge Männer haben heute weniger Probleme, sich von Mädchen die Welt erklären zu lassen, sie als Sprachrohr zu akzeptieren. Viele Rebellinnen haben starke Mütter, sie wachsen auf in dem Wissen: «Ihr könnt alles, wenn ihr wollt.» Außerdem haben #metoo-Welle und Protestbewegungen wie «Black Lives Matter» die Jugend sensibilisiert; Diskriminierung, Machtmissbrauch und Übergriffe sind wichtige Themen für Mädchen und Jungs gleichermaßen.
Worin sehen Sie den Unterschied zwischen den Achtundsechzigern und den alternativ politisierten Kids der «Generation Greta»? Ist es auch die Breite der Themen, die junge Menschen heute auf die Straße bringen: Klimakatastrophe, Recht auf Bildung, Verbot der Kinderehe, Genitalverstümmelung, Waffengesetze, sauberes Wasser, Kinderarbeit, BlackLivesMatter, Transgender-Kids, Minderheitenrechte?
Zum letzten Mal hat es einen solchen Aufruhr in den 60er Jahren gegeben, als die Jungen gegen Aufrüstung und den Vietnamkrieg auf die Barrikaden gingen. In Deutschland richtete sich der Protest der 68er vor allem gegen Alt-Nazis, deren bruchlose Karrieren und das große Schweigen der Eltern über die Gräuel der Hitlerzeit. Das verhärtete die Fronten zwischen den Generationen. Heute ist die Jugend viel zahmer, freitags die Schule zu schwänzen ist schon das Äußerste, was die Generation Z sich an zivilem Ungehorsam erlaubt. Das mag man belächeln, man mag ihnen Naivität ankreiden und sich darüber lustig machen. Aber man sollte sie nicht unterschätzen. Die Macht ihrer Bilder und Worte, die sich über die sozialen Medien verbreiten, ist gewaltig. Und es eint erstmals in der Geschichte eine Generation über die Kontinente hinweg. Sie fühlen sich – ungeachtet ihrer Herkunft, Hautfarbe und Religion – miteinander verbunden, auch wenn sie für ganz unterschiedliche Anliegen kämpfen.
Wie wichtig sind «Heldinnen» – charismatische Personen wie Malala Yousafzai, Greta Thunberg oder Natasha Mwansa – für die Mobilisierung und die Nachhaltigkeit der Teen Rebels-Projekte?
Vorbilder sind extrem wichtig. Ohne die Vorläufer, Vorbilder, Wegbereiter sind die Teenie-Rebellen nicht denkbar. Der bayrische Schüler Felix Finkbeiner hat schon zehn Jahre vor Greta angefangen die Welt zu retten, indem er Bäume pflanzt, erst an seiner Schule, dann weltweit. Er hat sich mit Schülern in der ganzen Welt vernetzt, vor den Vereinten Nationen in New York gesprochen, das hat Greta den Weg bereitet. Das große Role Model dieser Generation ist das pakistanische Schulmädchen Malala, der Taliban-Kämpfer in den Kopf geschossen haben, nur weil sie dafür kämpfte, dass Mädchen in die Schule gehen dürfen. Ohne Malala, das sagen die Rebellinnen alle, gäbe es sie nicht.
«Corona hat sie alle zurückgeworfen», schreiben Sie im Vorwort. «Plötzlich gab es keine Bühnen mehr, die sie hätten bespielen können. Plötzlich blieb ihnen nur noch die virtuelle Welt, um für das Klima zu streiken und für eine gerechte Zukunft zu kämpfen.» Wie groß ist die Gefahr, dass die Covid-19-Pandemie Fridays For Future und die anderen Bewegungen marginalisiert?
Corona ist ein Rückschlag unbekannten Ausmaßes für die Generation. Denn das Internet ist nicht die reale Welt. Viele ihrer Forderungen geraten ins Hintertreffen. Andere Themen drängen nach vorne – Impfstoffe, Jobs, die Wirtschaft. Wer um seinen Arbeitsplatz bangt, kümmert sich weniger ums Klima, um Gleichberechtigung, um sauberes Trinkwasser in Indianer-Reservaten. Aber die Themen der Rebellinnen – Klima, Umwelt, soziale Gerechtigkeit – sind nicht passé. Im Gegenteil: Viele Missstände haben sich verschlimmert. Vielerorts wurden Schulen geschlossen; ob die Kinder danach zurückkehren oder durch Handlangerjobs das karge Einkommen der Familie aufbessern müssen, ist ungewiss. Es steigt auch die Zahl der Kinderehen in Afrika, Asien Lateinamerika. Die Eltern halten es vielerorts für die beste Lösung, die Töchter früh zu verheiraten, um sie «versorgt» zu wissen. Dabei wäre Bildung der bessere Weg. Nur wie soll ein Mädchen in Sambia sein Recht auf Bildung wahrnehmen, wenn es im Alter von zehn, elf Jahren mit einem 60-jährigen Mann verheiratet wird, ihm den Haushalt macht und ein Kind nach dem anderen bekommt? Die Probleme bleiben, die Rebellinnen werden also zurückkommen. Denn es gibt viel zu tun. Spätestens im nächsten Hitzesommer, nach der nächsten Ölpest.
Wie haben sich die Rahmenbedingungen Ihrer Recherche verändert? Wie haben Sie während des Lockdowns den Kontakt zu Ihren Protagonistinnen gehalten, die ja über die halbe Welt verstreut sind?
In Davos und den Wochen danach waren noch persönliche Treffen möglich, dann kam Corona. Normalerweise hätte ich die Aktivistinnen auf verschiedenen Konferenzen wieder gesehen, sie sind ja global unterwegs, haben einen Terminkalender, der getaktet ist wie der eines Topmanagers. Das fiel alles weg, dafür hatten sie plötzlich Zeit für ausführliche Zoomgespräche. So lernte ich manch ein Kinderzimmer kennen, Eltern, Hund oder auch das Lieblingsstofftier.