Wie bleiben wir ein Liebespaar, wenn wir als Team funktionieren? Welcher Sinn und wie viel Unsinn steckt in Selbstoptimierung? Warum bin ich die ganze Zeit rasend, aber gleichzeitig entsetzlich müde? Mit vierzig – so dachten wir früher – wäre im Leben alles geregelt. Stattdessen wirft dieses Alter ganz neue Themen auf. Marlene Sørensen schreibt darüber, was uns Frauen in der zweiten Lebenshälfte beschäftigt und wie es weitergehen kann: klug, humorvoll, nachdenklich. Nach der Lektüre ihrer wundervoll ehrlichen Texte über Mutterschaft und Falten, Sex und niemals endenden E-Mail-Verkehr, vermeintlich perfekte Jeans und Solidarität unter Frauen haben wir vielleicht nicht alle Antworten, können uns aber sicher sein: Es geht nicht nur mir so.
Wir, die wir mittendrin stecken
Fragen an das Leben mit 40. Antworten für immer
40 – ein Blick nach vorn
In Deutschland erleben Menschen durchschnittlich mit 44 ihr großes Krisenjahr. Hat man das überdurchschnittlich krisenfrei hinter sich gebracht, wartet, so ein europäischer Vergleich, mit 47 die nächste Gelegenheit für das unglücklichste Alter. Was man zu dem Zeitpunkt womöglich schon erledigt hat: die Scheidung, denn die meisten Ehen werden nach dem 45. Lebensjahr geschieden. (…) Nach der Lektüre von Studien und Statistiken blieb das Gefühl von: Ganz lieben Dank für die guten Jahre, das war’s jetzt. Selbst wenn man «vierzig ist das neue dreißig» nicht unter dem biologischen Aspekt sieht, sondern es als Gegenansage zu Stereotypen über das Altern versteht: Ich möchte nicht noch einmal dreißig sein. War ich schon. War auch nicht schlecht. Muss ich trotzdem nicht wiederholen, denn eine Überarbeitung ist nur nötig, um etwas umzuschreiben. Ich möchte lieber vierzig sein und darüber etwas herausfinden.
«Wir Frauen stecken über Jahre fest in einer relativ klar strukturierten biologischen Phase voller Erwartungen, aber wie es danach weitergeht, muss man selbst herausfinden. […] Es scheint fast so, als ob sich im Leben eine kleine Tür findet, durch die jede Frau ab einem gewissen Alter hindurchmuss. Dahinter herrscht Wildwuchs, es gibt keinen Kompass, keine Strukturen.» (Rachel Cusk)
Geht das noch besser? Über den Sinn und Unsinn von Selbstoptimierung
Das, was man sich früher einmal im Jahr vornahm – ein gesünderes, entspannteres, ausgeglicheneres Leben –, ist zur Dauerbeschäftigung geworden. (...) Man fängt immer wieder von vorne an, ob mit dem Putzen, der Saftkur oder dem Vibrator, der neuerdings als Well-Being-Tool verkauft wird und bei dem die Wiederholung wenigstens willkommen ist. Gleichzeitig wird suggeriert, dass man nur das eine Ding davon entfernt ist, den optimalen Zustand zu erreichen. «Du kaufst ein Vagina-Ei für ein Problem, wovon du Rückenschmerzen bekommst, also kaufst du eine Faszienrolle, von der du blaue Flecke bekommst, also kaufst du homöopathische Arnika. Und so weiter und so fort, auf der ewigen Kurskorrektur Richtung Wellness, ohne jemals das Ufer zu erreichen», hat die Kolumnistin Marina Hyde im Guardian geschrieben. (…) Das «bei sich sein» ist oftmals darauf angelegt, in der Welt da draußen zu funktionieren, mit verbesserter Kreativität, gesteigerter Resilienz, erhöhter Stimulation. (…) War das Ich-Sein nicht weniger anstrengend, als es noch kein Bei-sich-Sein war? Ich vermisse das Unvorhergesehene. Das Abenteuer. Lag der Spaß nicht mal darin, Fehler zu machen, statt sie zu beheben? Mir reicht’s mit Self-Care.
Wie vergeht die Furcht? Über die Mutterschaft eines behinderten Kindes und den Wert von Gemeinschaft
Ich dachte am Tag der Entbindung, wir bekommen ein «normales» Kind. Was, frage ich mich im Nachhinein, stellte ich mir unter «normal» vor? Ich hatte keine Ahnung davon, wie man irgendein Kind bekommt und ihm eine Mutter ist. Was sich seitdem bewiesen hat, ist, dass ich mich vielleicht nie daran gewöhnen werde, wie viel unkalkulierbares und irrsinniges Glück darin liegt, seinen Weg als Mutter mitzugehen. Er lief nicht, als andere Kinder liefen. Er kommuniziert anders. Die Marker seiner Entwicklung sind nicht mit den allgemein bekannten Sprüngen vergleichbar. Seine Meilensteine sind ganz seine eigenen. Ich musste mich darin üben, nicht zu erwarten, dass die Dyspraxie meines Sohnes etwas ist, das er überwinden wird. Oder muss. Er bekommt jede mögliche Hilfe, doch es war mein Missverständnis, dass es eine Behinderung zu bewältigen gilt, als wäre sie separat vom Menschen. Ich musste lernen, ihm zu helfen, aber nicht zu erwarten, dass er «normaler» wird.
Er selbst findet sich nicht erklärungsbedürftig. Er kennt sich nur so, wie er ist. Ihn darin zu bestärken, geht einher mit der Furcht, ihn nicht beschützen zu können. Diese Furcht, dass er nicht so akzeptiert wird, wie er sich selbst akzeptiert, ist, denke ich, ein anderer Grund, warum ich sein Glücklichsein betone. Denn fällt es uns nicht leichter, glückliche und gesunde Menschen zu akzeptieren?
Wer hat dich eigentlich gefragt? Über einen Typus Mann, der leider immer noch ein Thema ist
Lieber Jochen,
falls du so nicht heißt – verzeih. Es ist bloß der erste Name, der mir einfiel. Womit wir schon bei meinem Problem wären. Und es ist eindeutig mein Problem: Ich habe mich entschuldigt. So würdest du niemals anfangen. So endest du meist noch nicht mal. Klassisches weibliches Problem hingegen, sich konstant zu entschuldigen, wie du weißt, und du weißt viel. (…) Warum schreibe ich dir überhaupt? Du beschäftigst mich. So wie viele Frauen, die ich kenne und die es mir daher verzeihen mögen, dass ich im Folgenden von «uns» spreche, obwohl ich sonst wenig davon halte, für alle das Wort zu ergreifen. Doch ich glaube, bei dir, Jochen, sind wir Frauen uns einig. Dabei hatte ich angenommen, dass du im Jahr 2022 kein Thema mehr sein dürftest. Irrtümlicherweise. War wohl abgelenkt von den männlichen Solidaritätsbekundungen, die Frauen in den letzten Jahren widerfahren sind. Du wirkst dagegen wie aus einer Zeit, als Männer noch Macker waren, Pilotenbrille trugen und Filterlose rauchten. Früher konnte man dich daher wenigstens leicht erkennen – und direkt umgehen, wenn man nicht gerade an einem Stammtisch saß oder auf dem Bolzplatz stand. (…) Heute scheinst du dagegen unvermeidlich. Muss daran liegen, dass du mehr Plattformen hast. In Talkshows. Bei Zwei-Männer-stimmen-einander-zu-Podcasts. Auf Twitter. In den Kommentarspalten. In denen besonders. Du bist Spezialist für Leitmedien. Ach was, du bist das Leitmedium. Der große Verfechter von «Das wird man ja wohl noch sagen dürfen». Typ «Man kennt mich für meine kontroversen Meinungen».
Ist das normal? Über die Wechseljahre
«Frau Sørensen, willkommen in den Wechseljahren.» Beinahe hätte ich gelacht. Welche Frau bildet sich denn ein, noch mal ein Baby produzieren zu können, während in Wahrheit schon der Abspann ihres reproduktiven Lebens läuft? (…)
Es schließt sich in dieser Zeit auch etwas hinter einem. Ich dachte nicht, dass ich es je vermissen würde, meine Periode zu bekommen, aber mit ihrem Aussetzen verstand ich, wie sehr ich meine Weiblichkeit über den Zyklus definiert hatte. Der monatliche Schmerz ist nun einer des Abschieds von einem Teil meines Lebens. Er wird, nehme ich an, schwächer werden, denn so, wie ich mich mit der ersten Periode auf einen neuen Abschnitt meines Frau-Seins einließ, wird auch dieser Wechsel geschehen. (…) Gerade die Generation der heute Vierzigjährigen und die vorherige haben sich dafür eingesetzt, nicht als das «schwache Geschlecht» angesehen zu werden. Nur wenn die Wechseljahre als normaler Teil der Gesundheit ernst genommen werden, muss keine Benachteiligung befürchtet werden. Die Schweißausbrüche? Normal. Der Haarausfall? Normal. Die Gereiztheit? Normal. Der Libidoverlust? Normal. Und behandelbar.
Wie geht es weiter? Über die Stärke, Hilfe anzunehmen
Doch wenn ich ehrlich war, schwappte die Belastung schon seit Jahren gegen meinen inneren Damm. Lange war es mir gelungen, ihn zu stopfen, mit Pausen, einem grundlegenden Stehvermögen, auf das ich mir viel einbildete, aber vor allem mit Durchhalteparolen: Nur noch die nächste Deadline, nur noch ein Arzttermin mit dem Kind, nur noch ein paar Dinge wegorganisieren – dann würde es leichter werden. Seit dem Tag der OP durchflutete mich jedoch beinahe konstant die Überforderung. Ich funktionierte, aber so, als würde ich unter Wasser treiben: orientierungslos und ausgeliefert. Am Anfang einer Woche konnte ich mir oft nicht vorstellen, wie ich ihr Ende erreichen würde. Denen um mich herum erzählte ich nur in Bruchstücken davon. Aus Rücksicht, ihnen nicht zu viel zumuten zu wollen, aber auch aus Scham, denn schwer, so richtig schwer, hatte ich es doch nicht. Und so war ich auch nicht. So taub. So trostlos. Die Marlene, die ich kannte, ertrug Selbstmitleid nicht. Die schaffte das. Aber was, wenn nicht? Dieser Gedanke ließ sich immer weniger unterdrücken. Als eine Bekannte von ihrer Therapeutin erzählte, fragte ich spontan nach der Nummer und beschloss, da wenige Wochen später ein Termin frei war, nicht lange darüber nachzudenken, was mich das kosten würde. Ich würde jemanden dafür bezahlen, mir Mut zu machen. (…) Was mir dagegen kaum noch gelang, war es, Sätze wie «Wie schaffst du das nur?» ernst zu nehmen. Wann immer ich ihn oder eine der als Kompliment gemeinten Variationen davon hörte – und immer war es von einer anderen Frau –, versuchte ich klarzustellen: Ich schaffe das nicht. Jedenfalls nicht ohne Hilfe. Und auch dann nur unter Anstrengung. Es verdient keine Bewunderung, wenn man schwer trägt und es sich nicht anmerken lässt.
Die perfekte Jeans – na und? Über ein neues Körpergefühl
Eine Veränderung wird, auch heute noch so oft, nur in eine Richtung gewünscht, akzeptiert und honoriert: die des Dünnseins. Bis dahin, bis man die letzten drei Kilo runterhat – denn drei Kilo sind immer drin – und man wieder in Form ist, bleibt der Körper die Übergangslösung. Es ist eine Transformationsgeschichte, die nicht nur niemals endet, sondern schon in ihrer Erzählung unzufrieden machen muss, denn die Version von einem, die genügt, bleibt in der Zukunft und unerreichbar. Jedes Nachher-Bild bloß das Vorher-Bild vor dem nächsten Nachher-Bild. Wenn der oberste Knopf der Jeans wieder zugeht, ist es zumindest für einen Moment so, als hätte man eine Version von sich zurückgewonnen, die einem vertraut ist, weil einem vertraut ist, dass man konstant optimierbar bleibt. Und im Sitzen kaum atmen kann. (…)
In der Mitte des Lebens beginnt der Körper, sich in der Mitte zu sammeln, ganz gleich, was man unternimmt. Eigentlich keine schlechte Idee von ihm, alle Energien an einem Punkt zu bündeln. Ein Kraftzentrum zu bilden als physischen Ausdruck des Bauchgefühls, auf das man mit den Jahren besser lernt zu achten. Ich wäre von meinem Körper dennoch gerne konsultiert worden, ob das nicht auch an anderer Stelle hätte stattfinden können. Beispielsweise im Kopf statt an der Hüfte. Hätte ich dort größere Kapazitäten, könnte ich mir mehr von den Dingen merken, auf die es wirklich ankommt, und nicht, dass in Nordkorea Röhrenjeans verboten sind. Ich hätte auch nichts gegen ein bisschen Extra obenrum gehabt. Nur, um nach dreißig Jahren ohne nennenswerten Busen mal zu sehen, wie das so ist, wenn man einen hat. Auch an den Füßen hätte ich eine Polsterung begrüßt. Dann könnte ich öfter die hohen Absätze tragen, die mich, so bilde ich mir ein, vorwurfsvoll aus dem Schuhregal anschauen.
Stattdessen hat sich der Bereich zwischen Brust und Knien neu formatiert, Body 4.0, und die Jeans, die ich bis vor Kurzem noch für nahezu vollkommen hielt, sieht plötzlich verkehrt aus – und ich bin wieder auf der Suche. Für immer?
Wie wollen wir alt werden? Über den Umgang mit dem Tod und den Glauben an die Hoffnung
Auf einer meiner Fahrten zu meinen Eltern höre ich eines Tages einen Podcast mit Alua Arthur, einer US-amerikanischen Death Doula, einer Sterbebegleiterin, die Menschen in den Tod begleitet, so wie Geburtshelfer*innen Menschen ins Leben holen. Sie erzählt im Gespräch davon, wie sie sich ihren eigenen Tod vorstellt. Am Ende, sagt sie, muss es nicht so kommen. Aber ihn zu visualisieren, the good death, helfe dabei, die Werte auszurichten, die das Leben bestimmen sollen. «Jedes Mal, wenn ich eine Entscheidung treffe, versuche ich mir vorzustellen, ich liege auf meinem Sterbebett, um zu entscheiden: Wäre ich froh, es getan zu haben; unglücklich, es nicht getan zu haben; oder ist es ohne Belang?» Sie sagt auch: «Wir können uns gleichzeitig vorbereiten und hoffnungsvoll sein.» (…)
Wie kann man die Unfairness des Todes, die Unausweichlichkeit des Alters fassen? Es ist gut möglich, dass es nie dazu kommen wird, dass meine Freundinnen und ich eines Tages in einer lustigen WG zusammensitzen, Mitte neunzig, quietschfidel. Aber in einem bin ich mir sicher: Die nächste Reise mit diesen drei Frauen wird kommen. Wir planen sie gerade, in der Mitte von allem, von wachsenden Kindern und alternden Eltern. Wir, die wir mittendrin stecken.