Es geht ein Riss durch die Vereinigten Staaten von Amerika. Und das nicht erst, seit Donald Trump das Land auf eine Weise regierte, die das gesellschaftliche Klima vergiftete, die Realität leugnete und am 6. Januar dieses Jahres im Angriff eines bewaffneten Mobs auf das Kapitol gipfelte. Die Religiöse Rechte ist allgegenwärtig und führt seit Jahrzehnten einen Kampf gegen alles, was nicht in ihr erzkonservatives Weltbild passt. In Arizona wurde kürzlich ein Gesetz für verfassungskonform erklärt, dass es Schwarzen und People of Color erschwert, wählen zu gehen. In South Dakota ist es Ärzt:innen nun gesetzlich verboten, trans Jugendliche unter 16 Jahren hormonell zu behandeln oder chirurgische Eingriffe vorzunehmen, obwohl das ein erhöhtes Suizidrisiko bedeutet. Entscheidungen, die das «Land of the Free» wie einen amerikanischen Albtraum wirken lassen, der auch nach Trumps Präsidentschaft kein Ende findet.
Wie engmaschig das Netzwerk der Religiösen Rechten aus Organisationen, Thinktanks und Medien ist, zeigt die freie Journalistin und Autorin Annika Brockschmidt in ihrem Buch «Amerikas Gotteskrieger» auf. Fest steht: Heute ist die Religiöse Rechte ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der Republikanischen Partei. Brockschmidt sagt: «Wer republikanischer Präsidentschaftskandidat werden will, muss um ihre Unterstützung buhlen, ihre Stimmen können Wahlen entscheiden. Umso wichtiger ist es für Brockschmidt, ihre Handlungsmotive und den politischen Einfluss zu beleuchten, um so auf die Gefahr hinzuweisen, die ihre Macht für die Demokratie der Vereinigten Staaten bedeutet.
Gewalt in Gottes Namen
Die Religiöse Rechte ist eine äußerst heterogene Bewegung, die ihre Anfänge bereits vor mehr als sechs Jahrzehnten nahm und unter anderem aus weißen Evangelikalen, Abtreibungsgegner:innen, Antifeministen und sogenannten White Supremacists, also Menschen aus dem rechtsextremen, faschistischen und gewaltbereiten Spektrum, besteht. Brockschmidt sagt: «Rassismus war ausschlaggebend für die Mobilisierung der Religiösen Rechten ab den 1960er-Jahren, aber die Wurzeln dafür liegen weit davor. Schon die Sklavenhalter in den Südstaaten legitimierten die Ausbeutung Schwarzer mit der Bibel.» Damals wie heute ist Rassismus ein verbindendes Element, das die Religiöse Rechte zusammenhält.
Ihr Narrativ besteht aus einer ganz eigenen Version amerikanischer Geschichte. Die USA seien als christliches Land von Christen für Christen gegründet worden. «Sie erkennen die Trennung von Kirche und Staat nicht an, sondern träumen davon, Amerika für Gott ‹zurückzugewinnen› (…) und streben eine Gesellschaftsordnung an, in der Gott nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in politischen Institutionen und Gesetzen präsent ist», sagt Annika Brockschmidt. Er müsse zudem wieder Platz finden in der Erziehung, in den Medien und in der Kultur.
Ihre politischen Ziele halten die Anhänger:innen der Religiösen Rechten für göttlich legitimiert. Eine Denkweise, die mitunter sogar Gewalt rechtfertigt. Als der damals 17-jährige Kyle Rittenhouse im August 2020 zwei Black-Lives-Matter-Demonstrierende in Wisconsin erschoss, wurden auf der christlichen Crowdfunding-Seite GiveSendGo 586.940 Dollar für seine Verteidigung gesammelt. Der Fernsehmoderator Tucker Carlson kommentierte die Tat mit den Worten, der Täter habe für «Recht und Ordnung (...) sorgen» wollen, «(…) wenn es sonst niemand tut». Brockschmidt sagt: «Gewalt wird, wenn sie christlich, weiß und männlich konnotiert ist, mitunter sogar sakralisiert. Sie wird als Werkzeug zur Verteidigung einer christlichen Gesellschaftsordnung überhöht und moralisch gerechtfertigt.»
Feindbild als Lebenselixier
Während früher insbesondere Schwarze, Atheist:innen oder Kommunist:innen zu Gegner:innen erklärt wurden, hat sich das aktuelle Feindbild um Muslim:innen, Linke, säkulare Humanist:innen und LGBTQIA*-Menschen erweitert. Besonders im Fokus stehen derzeit trans Menschen. Brockschmidt erklärt: «Transsexualität ist in der Gesellschaft deutlich unbekannter und noch immer tabuisiert. Dieses Unwissen nutzen Religiöse Rechte. Ihre diskriminierende Agenda verpacken sie in eine harmlos klingende Sprache, die eine toxische Botschaft vermittelt: Es gehe nur darum, die Kinder vor sexuellen Übergriffen zu schützen.»
Oft werde argumentiert, christlicher Nationalismus sei die Reaktion auf gesellschaftliche Neuerungen, eine rückwärtsgewandte Sehnsucht nach einem «alten Amerika», das es in dieser Form nie gegeben habe. Doch dabei handelt es sich laut Brockschmidt um einen Trugschluss: «Der heutige christliche Nationalismus ist nicht als Gegenbewegung zu gesellschaftlichen Errungenschaften der Moderne entstanden, sondern von Grund auf so konzipiert, dass er ein ständiges Feindbild braucht, das angeblich seine Existenz bedroht.» Letztendlich geht es um die Erreichung eines Ziels mit sehr weltlicher Natur. Brockschmidt: «Es geht um Macht, und zwar in erster Linie politische Macht.»
Zerstörung der Wahrheit
Auch der Klimawandel ist zu einem rhetorischen Schlachtfeld geworden, auf dem die unter Evangelikalen weit verbreitete Wissenschaftsfeindlichkeit und Theologie aufeinandertreffen. So fördert laut Brockschmidt die Religiöse Rechte zusammen mit libertären Thinktanks wie dem Heartland Institute, das unter anderem vom Mineralölkonzern ExxonMobil finanziert wird, die Verbreitung von Falschinformationen zum Klimawandel.
Der Nährboden für Falschinformationen und Verschwörungsmythen wurde während der Regierungszeit von Donald Trump nicht zuletzt von ihm selbst intensiv gepflegt. Brockschmidt führt auf, dass drei von vier Republikaner:innen glauben, dass es während der Wahl 2020 breit gefächerten Wahlbetrug gegeben habe. Drei von fünf weißen Amerikaner:innen sind überzeugt, dass Biden die Präsidentschaftswahl 2020 nicht rechtmäßig gewonnen habe. Ein alarmierendes Meinungsbild, dessen Gefahrenpotenzial Jason Stanley, Philosophieprofessor an der Universität Yale, in einem Satz zusammenfasst: «Das Ziel faschistischer Politik ist es, die Wahrheit zu zerstören.»
Die Religiöse Rechte ist längst im Zentrum der Macht angekommen, besetzt wichtige Posten im Weißen Haus und in den Gerichten. Für Brockschmidt war Amerika unter Trump nur eine Vorschau auf das, was die Zukunft bringen kann. Sie sagt: «Die USA befinden sich nach der Wahlniederlage Trumps 2020 an einer historischen Weggabelung. Die Richtung, in die das Land sich in den nächsten Jahren bewegt, wird über die Zukunft der amerikanischen Demokratie, über das Bestehen einer pluralistischen Gesellschaft entscheiden.»
Das Buch in Kürze
«Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet»