Als die neunjährige Luvvie Ajayi Jones 1994 mit ihrer Familie aus Nigeria in die USA zieht und zum ersten Mal vor ihrer neuen Schulklasse steht, trifft sie innerhalb von wenigen Sekunden eine Entscheidung. Sie stellt sich ihren Mitschüler:innen nicht mit ihrem eigentlichen Namen Ifeoluwa vor, sondern als Lovette. Ein Moment, in dem ihr Vertrauen in sich selbst zum ersten Mal erschüttert wurde. «Mein Name war (…) zu ausländisch. Zu nigerianisch. Zu seltsam», sagt Luvvie Ajayi Jones, Bestseller-Autorin, Podcasterin und Aktivistin. «Es war die einzige Lebensphase, in der ich das Gefühl hatte, mich schrumpfen zu müssen, weil ich zu viel war, zu anders.»
Ein Gefühl, das die 37-Jährige im Laufe ihres Lebens auflösen konnte. «Heute bin ich ganz unmissverständlich und selbstverständlich eine nigerianische, Chicagoer und Schwarze Frau. Ich bewohne alle diese Identitäten und (…) was einst ZU VIEL an mir war, ist heute ein Hauptgrund für meinen Erfolg», so Ajayi Jones.
Stabile Grenzen
Mit ihrem «Handbuch für Unruhestifterinnen» will sie vor allem Schwarze und migrantische Frauen sowie andere Personen, die sich macht- und sprachlos fühlen, ermutigen, Raum einzunehmen und gegen repressive Strukturen zu kämpfen. Sie sagt: «Es ist nicht dein Job, dich so klein zu machen, bis du hineinpasst, sondern einen Ort zu finden, wo du beliebig viel Raum einnehmen und unendlich wachsen kannst.»
Wie das gelingen kann, beschreibt Jones in ihrem neuen Buch. Eine wichtige Voraussetzung, um für sich einzustehen, ist für sie, innerlich in einem starken Fundament verankert zu sein und die grundsätzliche Überzeugung, dass man selbst wie jeder:r andere auch auf diese Erde gehört. Ajayi Jones sagt: «Wenn unsere Identität sicheres Terrain ist, können wir immer auf etwas zurückgreifen.» Denn wer des Zu-viel-Seins bezichtigt wird, fühlt sich im ersten Moment oft verunsichert oder beschämt, richtet den Blick auf das, was von außen als «mangelhaft» definiert wurde. Ajayi Jones sagt: «Wenn wir anderen auf Biegen und Brechen gefallen wollen, (…) ist es so, als würden wir unseren Selbstwert davon abhängig machen, so umgänglich wie möglich zu sein, damit wir geliebt werden. Oft begehen wir dadurch Verrat an uns selbst.»
Um diesen Verrat möglichst klein zu halten, sind stabile Grenzen wichtig. Für Ajayi Jones bedeutet das, Maßstäbe dafür zu setzen, wie man selbst behandelt werden möchte. «Wir müssen klar und deutlich eintreten für die Dinge oder den Raum, den wir brauchen. Dafür sind wir allein verantwortlich.»
Für Ajayi Jones ist zudem persönliches Wachstum Pflicht. Dazu gehört das Heraustreten aus der eigenen Komfortzone und der konstruktive Umgang mit Ängsten. Jones: «Mein Weg bis hierher war länger, als er hätte sein müssen, weil die Angst mich lange davon abgehalten hat, mir meine Leidenschaft, meine Berufung und meinen Beruf zu eigen zu machen. Doch», so Ajayi Jones weiter, «wir müssen tun, wovor wir uns fürchten, immer wieder, in dem Wissen, dass die richtigen Dinge oftmals die schwierigsten sind.» Eine Entscheidung, die sie jeden Tag aufs Neue trifft.