«Angeblich stammt der Hund vom Wolf ab. Meiner nicht. Mein Hund heißt Hilde.» Hilde ist der erste Hund von Ildikó von Kürthy, seit Impi unter die Räder gekommen ist, damals – vor 38 Jahren. Nun haben Dreiviertel der Kürthy-Familie (Mutter, Kind, Kind) entschieden: Es ist Zeit für einen Hund. Und nun ist er, pardon: sie, da. Hilde ist, wie soll man sagen, ein wenig speziell. Ein schüchterner Mini-Goldendoodle, Resultat einer exzentrischen Kreuzung aus Golden Retriever und Pudel. Mehr Fürchterich als Diva, mehr Schisser als Draufgänger. Hilde fürchtet sich, wenn ihr Magen knurrt. Sie fühlt sich regelmäßig von ihrem eigenen Schwanz verfolgt. Sie empfindet moderne Objektkunst in Grünanlagen als Bedrohung ihrer Existenz. Und das Leben ihres Frauchens? Ist, seit es Hilde gibt, ein komplett anderes geworden.
«Hilde» ist ein hinreißend geschriebenes Buch, leichtfüßig, temperamentvoll, amüsant. Für alle, die ein Herz für Hunde haben Das perfekte Geschenk für jeden, der einen Hund besitzt oder davon träumt, sich endlich ein Exemplar der Gattung Canoidea, der Hundeartigen, ins Haus zu holen.
«Auch Hilde ist eine Rassezüchtung – ein reinrassiger Angsthase»
Impi ist tot. Vor 266 Hundejahren, 38 Menschenjahren, starb Ildikó von Kürthys erster Hund. Ursprünglich trug er den stolzen Namen «Imperator» – es war die Zeit, als humanistische Bildung noch etwas galt und die Kinder der Quinta, der 6. Klasse des Kaiser-Karl-Gymnasiums in Aachen, ihren Lehrer mit «Salve, Magister!» begrüßten. Der von allen Impi genannte Welpe war das Kind von Mara, der Blindenführhündin von Ildikós Vater. Schäferhund-Mutter Mara, Boxer-Vater Eros, Impi-Kind. Das freundliche, übermütige Hundekind war noch kein Jahr alt, als es am Valentinstag 1980 im Garten der Familie Kürthy, gleich bei den Forsythien, seine letzte Ruhestätte fand. Impi war auf die Straße gerannt, in ein entgegenkommendes Auto hinein.
38 Jahre später heißt es bei den Kürthys: «Das letzte Kind hat Fell – endlich ein Mädchen!» Die beiden Jungs hatten sich schon lange einen Hund gewünscht, auch ihre Mutter ist von der Idee eines vierbeinigen Familienzuwachses angetan. Und da der Mann an ihrer Seite zumindest wohlwollende Neutralität zugesichert hat (okay, ein Aufsitzrasenmäher wäre auch nicht zu verachten …), bricht die Hundefraktion der Familie an einem Oktobertag 2016 nach Castrop-Rauxel auf, vorfreudig und ziemlich aufgeregt. Dabei hatte der Züchter die Dame aus dem hohen Norden am Telefon zu beruhigen versucht (alter Verkäufertrick): «Wenn Sie es mit diesem Hund nicht schaffen, schaffen Sie es mit keinem.»
Von fünf bezaubernden Welpen, die in Westfalen auf sie warten, erobert einer ihr Herz im Sturm: Hilde. Dabei entspricht sie dem Idealbild der zukünftigen Besitzerin nicht in Gänze. Groß, stolz und hochbeinig soll sie sein, eine schlanke Rasseschönheit, «quasi mein Ebenbild». Ganz so ist Mini-Goldendoodle Hilde nicht, aber doch alles in allem extrem süß. Außerdem – so der Züchter – von freundlichem Wesen, familientauglich und überaus anhänglich. Bevor die Hamburger ihr Flokati-Mädchen reisefertig machen können, muss noch eine peinliche Situation bewältigt werden. Der in monetären Dingen eher humorlose Mensch verlangt fürs Hildemädchen 1500 Euro. «Ich hatte 67 Euro 52 dabei» – wie blöd! (Ohne einen gewissen Matthias S. aus Herne, BMW-Fahrer und Helfer in größter Not, wäre der Hilde-Deal geplatzt. Danke, Matthias!))
Kaum zu Hause angekommen, setzt Hilde ihren ersten Haufen. Und zwar mitten auf den zur Probe liegenden Kelim-Teppich im Arbeitszimmer der Bestsellerautorin. Hildes zweite Verrichtung landet später punktgenau auf der Meditationsmatte der Hausherrin. Nach wenigen Tagen (und halbdurchwachten Nächten – Hilde muss nachts mindestens zweimal raus) ist Ildikó von Kürthy so weit, die 1500-Euro-Neuerwerbung zurückzubringen. Überraschenderweise naht für den Mischlingswelpen aus Castrop-Rauxel Hilfe von unerwarteter Seite: «Mein Mann, der es in zwanzig Ehejahren auf eine beachtliche Expertise im Umgang mit weiblichen Neurosen und Panikanfällen gebracht hat, tut nicht mal ansatzweise so, als habe er Verständnis … ‹Hilde bleibt hier. Es ist viel zu früh, um eine definitive Entscheidung zu treffen.» Gesagt, getan. Hilde bleibt.
«Das musst du letztlich selber wissen. Ist ja dein Hund.»
Es gibt so gut wie nichts, wovor Hilde nicht Angst hat. Ein herunterfallendes Blatt. Ein sanfter Lufthauch. Ein vorbeiflatternder Schmetterling – alles kann sie in Panik versetzen. «Wie kann ich einen Hund lieben, den ich noch gar nicht kenne und der mich überhaupt nicht versteht? Wenn ich ‹Komm› sage, guckt das Tier wie ein Austauschschüler aus Kasachstan an seinem ersten Tag in Deutschland.» So oder so: Hilde bleibt. Und das ist ein großes Glück für alle Beteiligten: Wie viel Freude und Spaß hätten die Kürthys verpasst, wäre der Fellpuschel tatsächlich wieder bei seinem misanthropen Züchter in Westfalen gelandet!
Wer einen Hund hat, muss regelmäßig an die frische Luft, klar, wo man immer auf andere Hundebesitze trifftr. Da ist zum Beispiel Helga. Sie schleppt Tashima, einen winzigen schwarzflauschigen Shih Tsu, in der Tasche mit sich herum. Shih Tsu klingt zwar wie eine dieser in Werbeagenturen so beliebten asiatischen Suppen, ist aber in Wahrheit eine von den tibetischen heiligen Hunden abstammende Rasse. «Frauchen sind, ähnlich wie die spätgebärenden Mütter in ausgesuchten Wohnlagen, humorbefreite Zonen». Eine aus dieser Zone ist Helga. Sie kann ausgesprochen inquisitorische Fragen stellen – Fragen, vor denen Ildikó sich am liebsten wegducken möchte: Ist Hilde bereits im Welpentraining (wichtig für die Frühsozialisation!)? Wird sie mit biologisch artgerechtem rohen Futter gefüttert: «Barfst du?» Und mit welchem Vierbeiner darf sie Umgang haben und mit welchen nicht?
Wobei man sagen muss: Hildes Erziehungsberechtigte weiß sich durchaus zu wehren. «Was heißt denn hier überhaupt artgerecht? Es ist doch auch nicht von der Natur vorgesehen, einen tibetischen Hund, der von der Dynastie der Ming-Vasen abstammt, in einer Designertasche durch norddeutsche Parks zu tragen.» Schon klar: Hast du einen Welpen, lassen die Besserwisser nicht lange auf sich warten. Aber man könnte ja auch mal zurückfragen: Braucht ein Terrier wirklich eine reetgedeckte Hundehütte, «Modell Kampen»? Darf das Fell des Collies tatsächlich nur bei Vollmond geschnitten werden? Und ist es nicht bescheuert, dem geliebten Caniden vierzig Monate lang gereiften Parmesan übers Futter zu streuen und mit Blattgold verzierte Leberwurstkekse zu kredenzen?
Ganz anderes Thema, aber auch nicht ohne: «Ist mein Hund doof?» Das ist eine Frage, die sich im Zusammensein mit Hilde durchaus manchmal stellt. Hilde ist toll, sie ist sensibel und wählerisch, wunderschön und bei Groß und Klein beliebt. Nur – allzu helle ist sie nicht. Du kannst vor ihren Augen, direkt vor ihren Füßen im Sand ein Bällchen verbuddeln – glaub nicht, dass sie es findet! Manche Transferleistungen dauern halt, tröstet der Tierarzt. Beim einen länger, bei der anderen kürzer. Und tatsächlich: Hilde lernt dazu. Immer häufiger hat ihr Frauchen den Eindruck, «dass Hilde sich redlich bemüht, sich mehr und mehr wie ein richtiger Hund zu benehmen».
«Wie Daniela Katzenberger unter Benediktinernonnen …»
Aber nicht nur Hilde lernt dazu, auch ihre Chefin stellt sich neuen Herausforderungen. Sie belegt ein achtstündiges Seminar über «Tierkommunikation» («Selbst mit Minimal-Make-up wirke ich in dieser Runde wie Daniela Katzenberger unter Benediktinernonnen»); sie trifft sich mit einem angesagten Hundeflüsterer und fährt zu den «Hundstagen» auf Sylt, wo so illustre Themen wie «Fitness-Gassi», «Dogdancing» oder ein Fotoshooting unter Wasser auf der Agenda stehen. «Mein Hund und ich nutzen die Mittagspause und gehen das Meer besuchen. Mein sonst so zurückhaltendes Hildchen ist nicht wiederzuerkennen: Sie tobt und buddelt, bellt fröhlich die Wellen an, rast mit flatternden Ohren über den Strand, spielt mit Seetang und Muscheln und hopst mit allen Beinen gleichzeitig aus dem Stand hoch in die Luft und sieht dabei aus wie ein bepelzter Riesenflummi.»
Eigentlich passen sie doch ganz wunderbar zusammen, Ildikó von Kürthy und ihr Hildchen. «Hilde und ich, wir sind zwei furchtsame Gewohnheitstierchen mit gemütlichem Gemüt und wenig Lust, bei schlechtem Wetter das Haus verlassen zu müssen. Außerdem müssen wir beide unbedingt zum Friseur.» Und danach wollen sie schauen, ob für das mittlerweile sieben Monate alte Hildchen ein Platz in der Gruppe «Schüchterne Hunde» frei ist.
Irgendwann ist er da, der 1. April, an dem dieser Satz (kein Aprilschrz!) seinen Weg ins Tagebuch findet: «Hilde ist jetzt eine Frau.» Kann es sein, dass das Hundemädchen ausgerechnet in jenen zwanzig Minuten, in denen ihr Frauchen bei Fische-Schmidt in Hamburg-Eppendorf 800 Gramm Lachs und vier Thunfischfilets ersteht, ihre Unschuld verloren hat, durch einen neben ihr angeleinten Hundekollegen? Hildchen – schwanger?! Kann das sein? Wir bleiben dran!