Für Rowohlt ist es seit über einem halben Jahrhundert ein Glück und eine Ehre, das Werk dieser beiden veröffentlichen zu dürfen. Aus diesem Grund haben wir vor einigen Jahren alle zehn Bände der Beck-Reihe komplett neu übersetzen lassen und mit Vorworten der Größten der Spannungsliteratur neu publiziert. Es sind genau hinschauende, engagierte Romane, die den Geist ihrer Zeit atmen und sich doch bis zum heutigen Tag gänzlich unverstaubt lesen.
Wenn Kriminalromane es verdienen, als moderne Klassiker bezeichnet zu werden, dann sind es die zehn Bände um den schwedischen Kommissar Martin Beck und seine Kollegen. Mit dieser Reihe schuf das schwedische Autorenduo Maj Sjöwall und Per Wahlöö quasi den modernen Kriminalroman. Die in den sechziger und siebziger Jahren entstandenen Romane zeichnen die schmerzliche Entstehung der modernen Gesellschaft nach und sind ein literarischer Schatz mit weltweit unzähligen Nachahmern und Nachfolgern bis zum heutigen Tage.
Ein Nachruf von Eckehard Schultz
Maj Sjöwall, die «Mutter der schwedischen Kriminalschriftstellerei», wie sie in ihrer Heimat genannt wurde, ist am 29. April nach langer, schwerer Krankheit in Landskrona verstorben. Geboren wurde Maj Sjöwall am 25.9.1935 in Stockholm. Nach ihrer Ausbildung arbeitete sie als Lektorin und Übersetzerin für mehrere Wochenzeitungen; 1961 lernte sie den Journalisten und Autor Per Wahlöö kennen, der bereits mehrere Romane mit politischem Hintergrund veröffentlicht hatte. Beide sahen die Wirklichkeit des schwedischen Wohlfahrtsstaates, Folkhemmet genannt, kritisch. Und sie beschlossen, die Realität zu beschreiben: ganz bewusst in Form von Kriminalromanen, um eine breitere Leserschaft zu erreichen.
Von Anfang an waren zehn Bände mit dem Titel «Roman über ein Verbrechen» geplant – gemeint war damit das Verbrechen der sozialdemokratischen Regierung am schwedischen Volk, «Kriminalromane als gesellschaftskritische realistische Reportagen».
Der erste Band, «Die Tote im Götakanal», erschien 1965. Das Manuskript hatte das Paar unter Pseudonym an einen Stockholmer Verlag gesandt, denn beide waren dort bekannt. Es wurde angenommen. Und zu beider Überraschung ein Erfolg: bei Rezensenten, im Buchhandel und bei den Leser*innen. Fortan erschien Jahr für Jahr ein weiterer Band. Ich hatte das große Glück, fünf ihrer Romane übersetzen zu dürfen und das Paar persönlich kennenzulernen. 1975 waren die beiden das erste Mal auf der Frankfurter Buchmesse, Majs Mann Per war damals schon schwerkrank und leider nicht mehr in der Lage, in Königstein an einem Abendessen mit dem Verleger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, Richard K. Flesch, dem Entdecker des Paars für den deutschen Buchmarkt, und mir teilzunehmen. Doch ich habe an diesem Abend eine extrem bescheidene, extrem kluge Frau kennengelernt. Das nächste Mal begegnete ich Maj in Kopenhagen, wir besuchten sie für ein Interview. Beim Betreten der Hotellobby kam sie auf uns zu, lächelte mich an und sagte: «Dich kenn ich ja schon.» Interviews hat Maj während der zahlreichen Lesereisen, auf denen ich sie als Übersetzer begleiten durfte, viele gegeben. Meist kamen die immer gleichen Fragen. Einmal flüsterte sie mir zu: «Eigentlich kannst du direkt antworten, Du weißt ja sowieso, was ich sagen würde.»
Kurz nachdem das letzte Kapitel des zehnten Bandes abgeschlossen war, verstarb Per. Maj schrieb noch einen letzten Kriminalroman, zusammen mit dem holländischen Autor Tomas Ross. Danach lebte sie zurückgezogen, übersetzte dänische und norwegische Bücher ins Schwedische. Wichtig war ihr vor allem der enge Kontakt zu ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln sowie zu langjährigen Freunden und Schriftstellerkollegen. Gerade auch in Deutschland, dem Land, das sie und Per als Schlüssel für Übersetzungen in viele andere europäische Sprachen ansahen.
Ihre letzten Lebensjahre verbrachte Maj auf der Insel Ven, im Öresund zwischen Schweden und Dänemark gelegen, in der Nähe ihrer Tochter Lena.
Sie war mehrmals zu Besuch bei uns, kannte meine schwedische Frau, die Kinder. Nun ist sie friedlich eingeschlafen. Wir werden sie vermissen. Und nicht nur wir …
Hey då, Maj! Eckehard
Eckehard Schultz, hauptberuflich im Vertrieb des Rowohlt Verlags tätig, war ein Geburtshelfer des Kriminalromans der sechziger und siebziger Jahre; er hat mehrere Bände der Martin-Beck-Reihe übersetzt und war Maj Sjöwall nicht nur als Übersetzer, sondern auch als Freund verbunden.