Mit Cormac McCarthy ist am 13. Juni 2023 «der große Monolith der US-Literatur» (Der Spiegel) im Alter von 89 Jahren verstorben. Er gehörte zu den bedeutendsten Schriftstellern der amerikanischen Gegenwartsliteratur, entzog sich weitgehend dem Literaturbetrieb und fühlte sich nach eigener Aussage in der Gesellschaft von Wissenschaftlern wohler als in der von Literaten.
Sein Werk ist bestimmt durch die große Sinnfrage, ob das Böse dem Menschen nicht von Anbeginn zu eigen ist. Seinem Buch «Die Abendröte im Westen» steht ein Motto des deutschen Mystikers Jakob Böhme voran: «So ist aber der Tod und das Sterben der Finsternis Leben». Dieser Finsternis hauchte McCarthy in jedem seiner Romane Leben ein. Bevölkert sind die in einer ebenso geschmeidigen wie wuchtigen Sprache gehaltenen Bücher von in der Regel männlichen Außenseitern, jungen wie alten. Es herrscht eine regel- und grundlose Gewalt, die jede Sinnsuche des Helden in Frage stellt - und gleichzeitig die der gesamten westlichen Zivilisation. «Sie wandern aus ihrem verkommenen Paradies aus, weil sie auf der Suche nach etwas sind, was bei ihnen bereits ausgestorben ist», ließ er eine Figur resümieren. «Etwas, wofür sie vielleicht gar keinen Namen haben.» Hinter jeder genau beschriebenen Geste, jeder eindrucksvoll ausgebreiteten Landschaft lauert das Namenlose, dem man wohl in kaum einem anderen Werk der Gegenwart so nahe kommt wie in den Romanen Cormac McCarthys. Und so befasst sich auch seine letzte Publikation, der wie eine Kippfigur gebaute Doppelroman «Der Passagier» und «Stella Maris» von 2022, diesmal aus vornehmlich wissenschaftlicher Sicht mit den unüberschreitbaren Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit und der daraus resultierenden Hoffnungslosigkeit. Die Romane Cormac McCarthys erscheinen auf Deutsch seit über vierzig Jahren bei Rowohlt.
Geboren am 20.7.1933 in Providence, Rhode Island, als drittes von sechs Kindern eines Anwalts, zog er mit seiner Familie vier Jahre später nach Knoxville, Tennessee. Der amerikanische Süden prägte später, wie der Westen, die Schauplätze seiner Romane. In Knoxville begann McCarthy 1951 ein Kunststudium, er diente ab 1953 vier Jahre bei der Air Force, nahm das Studium wieder auf, verließ aber 1959 ohne Abschluss die Universität und stürzte sich in ein unstetes Leben. Seine ersten Publikationen, die Romane «Der Feldhüter» und «Ein Kind Gottes», wurden von Faulkners ehemaligem Lektor Albert Erskine entdeckt und gefördert. Es waren drastische, düster realistische Stücke über das Leben einfacher Leute im amerikanischen Süden. Anerkennung in literarischen Kreisen fand McCarthy vor allem mit seinem 1985 publizierten Roman «Die Abendröte im Westen», einem brutal ungeschminkten Text über die Indianerkriege nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg, die mit der Unterwerfung der Apatschen und Komantschen endeten. Bei einer späteren Umfrage des New York Times Magazine unter Schriftstellern und Verlagsmitarbeitern nach den einflussreichsten amerikanischen Romanen der vergangenen 25 Jahre kam «Die Abendröte im Westen» auf den dritten Platz hinter Toni Morrisons «Menschenkind» und Don DeLillos «Unterwelt».
Einem größeren Publikum wurde McCarthy mit der Publikation des Spätwesterns «All die schönen Pferde» von 1992 bekannt, aus dem sich mit «Grenzgänger» und «Land der Freien» die Border-Trilogie entwickelte, ein trauriger Abgesang auf die angebliche Freiheit des amerikanischen Westens. Das Buch wurde u.a. mit dem National Book Award ausgezeichnet.
Ein weiterer, in der Gegenwart spielender und im amerikanischen Südwesten angesiedelter Roman, «Kein Land für alte Männer», wurde zu einem internationalen Bestseller; die Verfilmung durch die Coen-Brüder erhielt vier Oscars. Kurz darauf folgte die Weltuntergangsdystopie «Die Straße», ausgezeichnet mit dem Pulitzer-Preis und ebenfalls erfolgreich verfilmt. Sie festigte endgültig McCarthys internationales Renommé als einer der herausragenden Autoren seiner Zeit.
Cormac McCarthy starb gestern in Santa Fe, New Mexico. Der Rowohlt Verlag trauert um seinen Autor.