Irgendwo in diesem Dunkel
In "Sie kam aus Mariupol", ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse, hat Natascha Wodin ihrer Mutter ein berührendes literarisches Denkmal gesetzt. Jetzt lässt sie ein Buch folgen, das an den Freitod der Mutter 1956 anschließt. Erzählt wird die Zeit, als die ältere der beiden Töchter sechzehn ist, ein mehrjähriger Aufenthalt in einem katholischen Kinderheim liegt hinter ihr. Sie lebt beim Vater in den "Häusern" am Fluss, abseits vom deutschen Städtchen, unter Verschleppten und Entwurzelten in einer Welt außerhalb der Welt. Dabei möchte sie so gern zu den Deutschen gehören, möchte Ursula oder Susanne heißen und träumt von einem Handwerker, den sie heiraten könnte, um ihrer russischen Herkunft zu entkommen. Aber der seit je gefürchtete Vater sperrt sie ein. Sie soll keine roten Schuhe tragen, sie soll zu Hause putzen. In einem Taftkleid der Mutter flieht sie in die Vogelfreiheit, die Schutzlosigkeit der Straße. Diese Geschichte eines Mädchens, das als Tochter ehemaliger Zwangsarbeiter im Nachkriegsdeutschland lebt – misstrauisch beäugt und gemieden von den Deutschen, voller Sehnsucht, endlich ein Teil von ihnen zu sein –, wird aus dem Rückblick erzählt, ausgehend vom Tod des Vaters in einem deutschen Altenheim. Sein Leben, das noch in der russischen Zarenzeit begonnen hat und fast das gesamte 20. Jahrhundert überspannt, ist für die Tochter immer ein Geheimnis geblieben. Irgendwo in diesem Dunkel, hinter all dem Schweigen, sucht sie den Schlüssel zum Verstehen. Eine ungeheuerliche Geschichte der Ort- und Obdachlosigkeiten, erzählt in der klaren, um Sachlichkeit bemühten und doch von Emotion und Poesie getragenen Sprache Natascha Wodins, die ihresgleichen sucht.
- Verlag: Rowohlt E-Book
- Erscheinungstermin: 21.08.2018
- Lieferstatus: Verfügbar
- 240 Seiten
- ISBN: 978-3-644-00165-7
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Natascha Wodin hat ein weiteres ungeheuerliches Buch verfasst (...). Dass sie die Schweigespirale in ihrer Familie mit ihrem literarischen Schaffen durchbrochen hat, ist der Kern ihres Lebenswerks.
Beeindruckend, wie souverän die Autorin auf Pathos verzichtet, wie kühl und doch packend sie von ihren harten Teenagerjahren erzählt und dabei locker ein ganzes Jahrhundert aus der Frauenperspektive aufrollt.
Ein Buch, das die Schrecken und das Grauen des 20. Jahrhunderts in unsere Gegenwart transportiert – eine sehr beeindruckende Lektüre.
Die Balance zwischen persönlichem und sachlichem Ton gelingt Natascha Wodin grandios. (…) Der Roman kommt ganz ohne Metaphern aus, das Geschehen wird sparsam, aber äußerst wirkungsvoll geschildert. Gerade diese Strenge reißt den Leser mit.
Wodin ist eine Meisterin des genauen Hinschauens (…) 'Irgendwo in diesem Dunkel' kommt mit ungeheurer Wucht daher und zieht den Leser in einen Sog, aus dem er erst nach der letzten Seite wieder auftaucht.
Mit dem Doppel der autobiografischen Bücher über ihre Eltern hat Natascha Wodin sich einen Platz in der vordersten Linie der deutschen Literatur erobert.
Fremdsein und schmerzliche Orientierungslosigkeit sind die Themen dieses großartigen Buches.
Das alles, samt der unglaublichen Geschichte ihrer Jugendjahre, erzählt Natascha Wodin in dieser klaren, undramatischen und unlarmoyanten Sprache, die schon in „Sie kam aus Mariupol“ in heftigem Kontrast zu den Erzählinhalten stand.
Um mehr von ihrem Vater zu erfahren, muss Wodin von sich erzählen, erste Person Singular. Das gelingt berührend. (...) Mit bedrückender Lakonik erzählt sie von der scheinheilen Kittelschürzen-Welt der Nachkriegsjahre.
"Irgendwo in diesem Dunkel" findet Wodin das gedemütigte Kind und sie zeigt, wie mühsam es sich emanzipierte. Das hat eine immense Wirkung, weil der Abstand zwischen der Kindheit und dem Erwachsenenleben der Autorin riesig ist. (...) Hier zeigt sich ihre Kunst.
Dass das Buch in Zeiten der „Flüchtlingskrise“ eine weitere Ebene bekommt, bleibt eine Randbemerkung. Lesenswert ist es auch ohne die aktuellen Bezüge, weil eine große Schriftstellerin es geschrieben hat, die etwas zu erzählen hat.
Eine sprachlich beeindruckende und emotional bewegende Lektüre.
Wer wissen will, was Ausgrenzung für die Betroffenen konkret bedeutet, muss das neue Buch von Natascha Wodin lesen. (...) Dass die Siebzehnjährige doch noch ihren Weg aus der Obdachlosigkeit fand, (...) aus ihr später eine Dolmetscherin, Übersetzerin und schließlich eine großartige Schriftstellerin wurde, grenzt an ein Wunder. Zum Glück für ihre LeserInnen.
Ein noch viel intimeres Buch, das für sich stehen kann. (...) Sie klagt nicht an, sie schildert Geschichte anhand menschlicher Schicksale.
Der stille, zurückhaltende Triumph einer Autorin über die Traumata ihrer Biografie.
Ein hartes, aber kein bitteres Buch. (...) Es lässt mitleiden und mitfühlen und demonstriert, wie aus einem geplagten Menschenkind eine bedeutende Autorin werden kann. Das ist große, bemerkenswerte Literatur von einer beeindruckenden sprachlichen Kraft.
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