Sie ist die Frau mit der Mütze. Die Frau, für die das Magazin Focus das Wort «coolservativ» kreierte und die Gala das Label «Merkels taffes Mädchen». Tatsächlich entspricht Diana Kinnert so gar nicht dem Bild des klassischen CDU-Mitglieds – und doch ist sie bei den Christdemokraten aktiv, seit sie 17 Jahre alt ist. Was mit kleinen Revolutionen auf dem Schulhof begann, führte sie bereits ins Berliner Regierungsviertel. In diesem Buch erklärt sie, wie sie durch Fahrten mit der Wuppertaler Schwebebahn politisiert wurde und warum es sie ausgerechnet zur CDU verschlagen hat. Ob Flüchtlingspolitik, die Zukunft Europas, digitale Kultur, Feminismus oder Sterbehilfe – Diana Kinnert ermuntert dazu, neu über konservative Politik nachzudenken in einer Zeit, die unübersichtlicher und schnelllebiger ist denn je.
Konservativ = verstaubt und altbacken?
Nein, das findet sie ganz und gar nicht. Für Diana Kinnert bedingen sich Moderne und Konservativismus – konservativ sein heißt für sie: progressiv sein. «Ohne Wandel besteht kein Bedarf nach Konservierung. Nur die Veränderung, das Brechen mit etwas und das Fortschreiten geben die Möglichkeit, mit konservativer Denkweise und Haltung zu reagieren.» Dass die gebürtige Wuppertalerin nicht nur optisch als das modernste Gesicht der CDU gilt, hat seine Gründe. Wer sie kennenlernen will, sollte dieses Buch lesen.
Diana Kinnert, 1991 als Tochter einer philippinischen Mutter und eines polnischen Vaters geboren, ist seit 2008 Mitglied der CDU. Studentin der Politikwissenschaften und Philosophie in Berlin, Göttingen und Amsterdam. Zwei Jahre leitete sie das Abgeordnetenbüro ihres 2016 verstorbenen Mentors Peter Hintze und war Mitglied der Reformkommission von CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Vice-President der Global Media News GmbH und Consultant für Green Window Services, eine Online-Plattform für grüne, fair gehandelte Produkte, für die sich auch Nena und Rea Garvey engagieren. Dies und einiges mehr macht Diana Kinnert – und das mit 26.
Ihr Buch «Für die Zukunft seh' ich schwarz» fällt in mehrfacher Hinsicht aus dem Rahmen. Als autobiografischer Text ist es in einem Maße reflektiert und diskursiv, wie man es von einer so jungen Politikerin nicht erwarten würde. Und es ist, was das freimütige Sprechen über ihr Leben und Lieben betrifft), so privat, wie man es erst nicht von einer jungen Politikerin erwarten würde. Nie wirkt es aufgesetzt, wenn sie auf große Namen rekurriert, auf Philip Roth, Sibylle Berg, Michel Houellebecq oder die belgische Konfliktforscherin Chantal Mouffe. Am meisten beeindruckt an Kinnerts Buch die freie, lebendige Sprache jenseits starrer Denk- und Rhetorikschemata: «nicht staubtrocken und moralinsauer, sondern frisch, engagiert und sehr selbstbewusst» (Darmstädter Echo).
Es geht Diana Kinnert um Inhalte, nicht um den Status eines jungen, migrantischen It-Girls der CDU. Man muss nicht mit all ihren Meinungen und politischen Visionen einverstanden sein. Aber auf jeder Seite ihres Buches ist die Lust am freien Wettstreit der Ideen zu spüren, am argumentativen Austragen von Differenzen – ob es um Reich und Arm, Genderpolitik, Sprache und Moral der political correctness, Mindestlohn, das Europa der Zukunft, Sterbehilfe oder den Irrsinn einer aufoktroyierten Leitkultur geht. Es sind einige der Themen, die uns alle beschäftigen sollten.
Hier einige Passagen aus Diana Kinnerts Plädoyer für einen modernen, weltoffenen Konservativismus.
«Kunterbunt ist das neue Schwarz» (WZ)
«Geht eine junge Frau zum CDU-Stammtisch, und niemand spricht mit ihr. Beim nächsten Mal auch nicht. Dann schließlich, beim dritten Mal, steht endlich einer auf und kommt auf sie zu, sie überlegt noch, ob er jetzt als Erster die Hand reichen wird, oder ob sie das tun soll, dann sagt er: «Zwei Bier, bitte!» Diese Geschichte, die von verschiedenen Zeitungen aufgegriffen wurde, ist meine Geschichte. Es ist die Geschichte meines Eintritts in die CDU – als unerfahrener junger Mensch ohne Kontakte ins politische Geschäft, als emanzipierte und selbstbewusste Frau mit großstädtischer Erziehung und liberalem Denken, als Person mit interkontinentaler Herkunftsgeschichte.»
2 Augen, 4 Augen, 6 Augen. «Eines Abends, da wir zum gemeinsamen Kochen verabredet waren, fragte er (Rajvinder Singh, d. R.) mich zwischen dem Häuten von Zwiebeln und dem Zerkleinern von Roter Bete, ob ich von der Idee der sechs Augen gehört hatte. Es sei seine Idee, fügte er hinzu. Ich schüttelte den Kopf. ‹Wenn zwei Menschen aufeinandertreffen, … wie viele Augen sehen dann?› – ‹Vier›, antwortete ich rasch. ‹Sechs. Jeder sieht mit seinen eigenen Augen. Doch die Begegnung schafft auch ein neues, ein drittes und gemeinsames Augenpaar.› Ich nahm das Gesagte zur Kenntnis, verstand es als Banalität und dachte nicht weiter darüber nach.
Wochen später, Singhs und mein Gespräch war mir inzwischen beinahe in Vergessenheit geraten, stieß ich auf ein Interview mit dem damaligen Außenminister FrankWalter Steinmeier. Darin verwies dieser explizit auf Singh und erhob sein Bild der sechs Augen zum Leitmotiv deutscher Außenpolitik: Es eigne sich als einfaches und eindeutiges Bild für die Herausforderung der politischen und kulturellen Begegnung, einander immer zugleich mit den eigenen Augen, mit den Augen des anderen und aus einer gemeinsamen Perspektive zu betrachten. Singhs Bild der sechs Augen selbstwurde so zu einem Coup der Diplomatie.»
Politischer Aktivismus heute. «Die junge Generation engagiert sich mehr, vielgestaltiger und konsequenter als je zuvor. Sie verändert die Welt fern ungelenker Staatsapparate. Sie lebt Empörung, weil Empörung der Anfang allen Wandels ist. Ihr Engagement verstaubt nicht als Mitgliederausweis in der Schublade oder als Parteiorden an der Weste, es ist mehr als nur alle vier Jahre eine Stimme zu delegieren. (…) Politischer Aktivismus, wie meine Generation ihn auslebt, ist hierarchiefrei und teilweise anarchisch, er ist digital und mobilisierend, themenspezifisch und projektorientiert, kampagnenhaft und impulsgebend. Er ist flexibel und kompromisslos. Er ist niedrigschwellig und performativ. Er bietet all das, was den klassischen Formen der Politik fehlt. Die Streitschrift Empört euch! des ehemaligen französischen Widerstandskämpfers und UN-Diplomaten Stéphane Hessel ist zur Bibel politischer Aktivisten geworden.»
Zwei Lehrer, zwei bedeutende Menschen. «In meinem bisherigen politischen Leben hatte ich zwei Lehrer, Mentoren, auch besondere Freunde. Den einen, Peter Hintze, lernte ich am Wahlkampfstand in Wuppertal kennen. Dem anderen, Rupert Neudeck, begegnete ich in einem Kirchenschiff in Köln. Beide verstarben im letzten Jahr; Peter Hintze im Alter von 66 Jahren nach langer Krebserkrankung, Rupert Neudeck im Alter von 77 Jahren nach einer Operation am Herzen. (…) Hintze war ein Bilderbuchdemokrat, ein Stratege und Taktiker, der es verstand, innerhalb des parlamentarischen Systems Dinge voranzubringen. (…) Er war und ist der größte Politiker, den ich bis heute kennengelernt habe.
Neudeck war ein anderer Typ. Sein letztes Buch hieß Radikal leben. Auf dem Klappentext wurde Neudecks Anliegen deutlich. Es ging ihm in seinem Leben darum, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter in die Neuzeit zu tragen. Denn wer tat etwas, während das Parlament zu sehr mit sich selbst beschäftigt war und Tausende, Zehntausende Flüchtlinge ertranken? ‹Ich möchte nie mehr feige sein›, hatte Neudeck gesagt und ging in die Geschichte ein, als er im Jahr 1979 über 10 000 vietnamesische Flüchtlinge aus dem Südchinesischen Meer rettete.»
Anders sein. «Zur gesamten Gemeinschaft lesbischer, schwuler, bisexueller, transsexueller und queerer Menschen habe ich ein besonders inniges Verhältnis, nicht nur aufgrund eigener Zugehörigkeit. Lange bevor ich entdeckte, dass ich mich in Mädchen verlieben konnte, teilte ich bereits das Unbehagen der Gesellschaft, anders zu sein. Das betraf bei mir die etwas dunklere Hautfarbe, die im Kindergarten auffiel, das schwarze Haar, wegen dessen man mich schief ansah, als ich als Messdienerin die Kirche betrat, es betraf aber auch mein Mädchensein, das ich nicht über eine angeleitete Form der Feminität auslebte, sondern schlicht das auslebte, was aus mir herauswollte. Als Juniordetektiv mit Sherlock-Holmes-Faible kam so im Alter von elf Jahren die Mütze auf meinen Kopf. Das Anderssein setzte sich zunehmend in der Pubertät fort, da alle Mädchen zu Kosmetik und enger Kleidung griffen und ich darin keinen Sinn sehen konnte. Ich blieb, wer ich war, und fühlte doch immer wieder, irgendwie mit mir alleine zu sein.»
Raus aus den Nischen! «Später, als ich Angehörige der LGBTQ-Community kennenlernte und diese mir von teils verstörenden Erfahrungen schon zu Schulzeiten berichteten, von Gewalt, Demütigung und Ablehnung, begriff ich dieses Feld der Identitätspolitik, des Einsatzes für Minderheitenrechte auch als eigenes politisches Thema. Gleichgeschlechtliche Liebe darf nicht in Räume für Gleichgeschlechtlichkeit ausgelagert werden. Das Bekenntnis zu Gleichgeschlechtlichkeit, der Respekt für Homosexuelle, die Solidarität mit allen Minderheiten gehören nicht nur auf Kampagnenplakate, auf Pride-Bühnen und in Homo-Bars – sie gehören stolz und sicher auf die Straße, in die Öffentlichkeit und in den Mainstream.»
«Darum bin ich Mitglied der CDU geworden: Weil sie als Partei mit liberalen, christlich-sozialen und konservativen Wurzeln für ein Wertekorsett steht, das den Menschen in seiner Einzigartigkeit schätzt, ihm Räume zur selbstbestimmten Lebensführung und freien Persönlichkeitsentfaltung gewährt und ihn zugleich vor der Zügellosigkeit sich selbständig erschaffender Systeme schützt. (…) Mit der CDU hatte und habe ich trotz unzähliger Unstimmigkeiten noch die allergrößte Übereinstimmung.»